Friedrich Christian Delius, FCD

Tilman Krause

Tilman Krause

C’est bien allemand, ça / Über das Treiben der deutschen Literaturkritik im Falle Delius

Ob wir Deutschen auf dem “langen Weg nach Westen” wirklich ans Ziel gelangt sind, das kann man sich ja täglich dreimal fragen. Aber so eindeutig verneinen wie beim Blick auf das Treiben der deutschen Literaturkritik lässt sich die Frage selten.

Bekommt also ein verdienter deutscher Schriftsteller, in Jahrzehnten gereift vom fundamentalkritischen Dokumentaristen zum souveränen, multiformen Erzähler, bekommt also Friedrich Christian Delius den Büchner-Preis zuerkannt. Da könnte Freude aufkommen, da könnte man sagen: Jawohl, die Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung hat ihre Sache gut gemacht. Sie hat mit ihrer Entscheidung für den 68-Jährigen ein Lebenswerk ausgezeichnet, das in seinem organischen Wachstum, in seiner handwerklichen Solidität und in seiner intelligenten Differenziertheit alle Voraussetzungen für eine bedeutende literarische Auszeichnung erfüllt. Jedoch, was geschieht?

Zu alt, der Gekürte, findet eine Dame in Frankfurt. Zu unanstößig, meint ein Herr in München. Und den Gipfel typisch deutschen Unverhältnisses zum Repräsentativen erklimmt ein Herr aus Berlin. Hier sei die Chance vertan worden, “auf jemanden aufmerksam zu machen, der erst noch bekannt gemacht werden müsste”. Wie heißt es bei Thomas Mann so schön? “C’est bien allemand, ça, par exemple!” Bekannt machen, als ob es darum ginge!

Wann werden die Damen und Herren Literaturkritiker hierzulande ihr Verhaftetsein in den Kategorien der Genieästhetik überwinden? Wann wird ihnen bewusst werden, dass nicht der so oft einmalige “große Wurf”, auf den nichts Nennenswertes mehr folgt, nicht das meist auf lange Sicht scheiternde Himmelstürmende, nicht das in der Mehrzahl der Fälle unerquickliche Experimentelle Kriterien für künstlerische Leistung sind, sondern viel eher das Gleichmaß der Qualität, die sich verlässlich über Jahrzehnte hin erstreckt?

Wann werden sie einsehen, dass es in Deutschland viele Literaturpreise gibt, mit denen auf angemessene Weise ein fulminanter Erstling oder das reizvolle Schaffen eines begabten Außenseiters ausgezeichnet werden können? Dass es aber auch eine Trophäe gibt, die das Klassische, Kanonische aufzuspüren und auf den Schild zu heben den Auftrag hat und dass diese Trophäe eo ipso nicht fürs Sperrige, Kryptische, sondern fürs Kommensurable gedacht ist – also für Martin Mosebach oder eben Friedrich Christian Delius, nicht für Josef Winkler, Reinhard Jirgl oder gar die Antike aus zweiter Hand, mit der die Leistungskurs-Lyrik eines Durs Grünbein aufwartet?

Die Fragen sind rhetorische, denn diese deutschen Stereotypen werden uns noch lange zu schaffen machen. Solange jedenfalls, wie der angesehenste deutsche Literaturpreis nach einem Mann benannt ist, der bereits mit 24 Jahren starb. Das ist ja schon so absurd, dass man es sich in Frankreich oder England kaum vorstellen kann. Kurzum, der Westen, das bleibt, mit Mörike zu sprechen, unser Orplid, das ferne leuchtet.

(Die Welt-online 21.5.2011)

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