Friedrich Christian Delius, FCD

Die beiläufige Enthüllung eines Stammbaums

Die beiläufige Enthüllung eines Stammbaums

Wer verbirgt sich hinter Albert Rusch, der Hauptfigur im jüngsten Roman des Autors Friedrich Christian Delius?

Von Moritz Müller-Wirth (Gesprächsführung)

In seinem Roman »Der Königsmacher« schildert der Autor Friedrich Christian Delius das Schicksal eines erfolglosen Schriftstellers, der versucht, sein Scheitern durch eine PR-Kampagne zu kaschieren, die auf seine preußische Herkunft abzielt. Der Roman enthalte autobiografische Elemente, heißt es. Doch wo, fragen sich die Kritiker.

Herr Delius, halten Sie sich für einen erfolglosen Schriftsteller?

Muss ich auf diese Frage wirklich antworten?

Sie müssen nicht. Aber Albert Rusch, die Hauptfigur in Ihrem neuen Roman, berichtet so authentisch über die Mühen eines wenig erfolgreichen Autors, dass man auf den Gedanken kommen könnte, hier spricht und schreibt jemand aus Erfahrung.

Ich kenne den literarischen Betrieb ganz gut, seit über 30 Jahren, und viele Autoren, die im Schatten stehen. Aber ich bin selbstverständlich nicht Albert Rusch. 1439 verkaufte Exemplare, das habe ich mit jedem Roman mehrfach überboten. Erfolg ist etwas sehr Relatives, aber erfolglos bin ich nicht.

Auf der Suche nach autobiografischen Passagen hat sich die Kritik bisher immer am erfolglosen Rusch abgearbeitet. Die zweite Ebene des Romans ist eine Familiengeschichte. Albert Rusch, der Nachfahre des Soldatenkönigs.

Ja, das ist interessant. Noch niemand hat mich gefragt: Wie viel von deiner Familienstory hat mit der von Rusch zu tun?

Und?

Ich denke, da gäbe es noch ein paar spannende Dinge zu berichten.

Ich sehe schon die Schlagzeile vor mir: Delius Urururururenkel des Soldatenkönigs.

Noch ein, zwei Ur dazu…

Verzeihung.

Der Witz ist, es stimmt tatsächlich. Das mit dem Soldatenkönig und den Preußenkönigen war noch die leichteste Übung, das kann man dem Stammbaum der Oranier ablesen. Aber alles hängt ja an diesem Prinzen von Oranien, der, bevor er König Willem I. wurde, lieber mit der Berliner Tänzerin Marie Hoffmann schlief als mit seiner Frau und Cousine, der Schwester des Königs von Preußen und Schwägerin der Königin Luise…

Langsam, langsam, wie kam der holländische König in Ihre Familie?

1963 erhielt mein Großvater – aus dem verarmten, besitzlosen mecklenburgischen Landadel – eine Anfrage des Fürstlichen Archivs von Neuwied, ob es verwandtschaftliche Beziehungen gäbe mit einer gewissen Wilhelmine von Dietz. Er hat sofort geantwortet: Ja, das ist meine Urgroßmutter. Daraufhin wurde ihm eröffnet, was niemand in der Familie bis dahin gewusst hatte, dass diese Wilhelmine von Dietz die uneheliche Tochter des Königs Willem I. und einer gewissen Demoiselle Hoffmann war.

Die Schlagzeile müsste also lauten: Delius unehelicher Nachfahre von König Willem I. der Niederlande? Wie hat Ihre Familie auf die Nachricht reagiert?

Mein Großvater fiel natürlich aus allen Wolken. Er wusste nur immer, da war irgendwie eine dunkle, nie aufgeklärte Geschichte in der Familie. Er wurde dann eingeladen, nach Neuwied zu fahren, um das Material zu sichten. Es blieben ihm und meiner Tante aber nur zwei Tage Zeit, weil schon ein Termin feststand, an dem dieses Material nach Den Haag transportiert werden sollte. Bei der eiligen Durchsicht sahen sie unter anderem das Testament des Königs, in dem seine uneheliche Tochter Wilhelmine von Dietz als eine der Erbinnen auftauchte. Sie haben sich solche Dokumente beglaubigen lassen und einiges hastig abgeschrieben, es gab ja damals keine Fotokopiergeräte.

Wie kamen diese Unterlagen eigentlich nach Neuwied?

Das Material lag ursprünglich in Berlin, Unter den Linden, im Niederländischen Palais, wo König Willem seinen Ruhestand verbrachte, nachdem er 1840 zurückgetreten war. Die Russen haben es 1945 oder 1946 merkwürdigerweise zum Schloss Neuwied transportieren lassen, dort lagerte es auch nur in einer Remise, bis… Der ganze Krimi dieser Zufälle wird im Königsmacher ausführlich erzählt…

Wieso musste Ihr Romanheld Rusch so lange auf sein Erscheinen warten?

Ich habe lange Zeit nur eine oberflächliche Kenntnis der Königsgeschichte gehabt, und das hat mir auch gereicht. Ich wollte mit dieser adligen Abstammung nicht viel zu tun haben, das hat mir nichts bedeutet, und dieser König im Stammbaum, nun ja, Bastardkinder sind wir doch irgendwie alle. Vor drei Jahren habe ich die traurige Geschichte der Wilhelmine oder Minna auf 15 Seiten zu erzählen versucht, habe aber schnell gemerkt, dass ich ihr damit nicht gerecht werde. Die Sache hat mich nicht in Ruhe gelassen. Minna hat von ihrem schreibenden Urenkel mehr verlangt, Aufmerksamkeit, Empathie, Geduld. Da habe ich begonnen, gründlich zu recherchieren, und bin fündig geworden.

Rusch verdankt seine Existenz also weniger den Erfahrungen des nicht so erfolglosen Autors Delius, sondern vielmehr dessen Herkunft?

Ich musste Rusch erfinden, um das Ganze ironisch zu brechen, um eine zweite, heutige Ebene zu haben, den Medienzirkus.

Also kein Adelsdünkel?

Wer weiß. Vielleicht später mal!

(c) DIE ZEIT, 50/2001 vom 12. Dezember 2001

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