Satiren Waschtag
Waschtag. Ein Stück
Uraufführung Wolfgang Borchert Theater Münster
Inszenierung: Wolfgang Rommerskirchen, April 1988
Waschtag. Textbuch
Mit einer Einführung von Dieter Kirsch.
Utrecht: L.O.K.V. Dramatische Bibliothek 1988
Nur noch antiquarisch erhältlich (ZVAB)
Pressestimmen:
Schmutzige Wäsche
Friedrich Christian Delius: “Waschtag” / Eine Uraufführung in Münster
Wie lächerlich waren die Paladine Hitlers? Angesichts der ungeheueren Verbrechen, für die sie Mitverantwortung trugen, wirkt die Frage beinahe unstatthaft. Aber schon Hannah Arendt konstatierte in ihrer Studie über Adolf Eichmann widerwillig seine “unbestreitbare Lächerlichkeit”: “Es war in der Tat schwierig, sich des Verdachtes zu erwehren, daß man es mit einem Hanswurst zu tun hatte.”
Friedrich Christian Delius las vor einiger Zeit das “Spandauer Tagebuch” von Albert Speer und empfand die Aufzeichnungen als eine Realsatire, die sich ihm wie von selbst in eine klassische Bühnensituation übersetzte. Delius wollte möglichst nahe an der Realität im Kriegsverbrechergefängnis Spandau bleiben, ohne sie zu dokumentieren. Was ihn antrieb, war die Beobachtung, daß die Täter allzu oft zu “großen Verbrechern” gestempelt wurden, weil sie große Verbrechen begingen. Es waren da aber kein Karl Moor und kein Richard III. am Werk gewesen, sondern nur banale Apparatschiks.
Ein Moment in Speers Tagebuch faszinierte Delius am meisten: Daß die Spandauer in jeder Woche einmal ihre Wäsche waschen mußten – zweiundfünfzigmal im Jahr der Stellvertreter des Führers und der Großadmiral gemeinsam am Waschzuber. Das bestimmt die Szene in “Waschtag”, dem ersten Stück des Romanautors Delius. Er verfremdet die Situation, indem er den Personen andere Namen gibt, um weitergehende Assoziationen zu ermöglichen. So geben diese Kellers und Uhlendorfs anfangs Rätsel auf, bis sich mehr und mehr ihre Identität enthüllt und der Ort der Handlung eindeutig wird, wo die vier älteren Herren an jedem Montag “Frauenarbeit” leisten müssen. Sie schrubben und walken wie zu Großmutters Zeiten ihre Laken, Socken und Unterhosen mit Waschbrett und Wäschestock. Eine Waschmaschine wird ihnen nicht bewilligt. Sie schwitzen, fluchen und tragen ihre kleinen Kontroversen aus. Jeder beansprucht Respekt und mißtraut den anderen.
Die Modelle sind Rudolf Heß, Karl Dönitz, Albert Speer und Baldur von Schirach. Speer ist der unbeliebte Besserwisser, der ewige Primus, der sich der neuen Zeit schnell angepaßt hat. Schirach ist der zynische Clown, der sich als Dichter fühlt, nicht als Mann der Tat. Dönitz bemüht sich um gravitätische Würde als Staatsoberhaupt, als das er sich noch immer fühlt, während Heß ganz selbstverständlich die Chefposition als zweiter Führer beansprucht, die ihm die anderen halbwegs gewähren.
Die Jahre vergehen, einer nach dem anderen verschwindet aus dem Stück, bis Heß allein übrigbleibt. Der spricht nun mit seiner Waschmaschine, die endlich angeschafft wurde, wie mit einem Freund. Auch ihm ging es immer nur Sauberkeit, er ist der einzige Saubere in der Welt, die nur er retten könnte. Sein gutes Gewissen ist unerschütterlich, weil er doch immer den Frieden gewollt und sich nie als Politiker verstanden habe, sondern immer als Idealist, “der nicht schändlich die alten Ideale verraten hat”. Bis zuletzt ist er stolz, daß es ihm vergönnt war, “viele Jahre unter dem größten Sohn meines Landes in seiner tausendjährigen Geschichte zu wirken”.
Die grotesken Albernheiten brauchte Delius nicht zu erfinden – er entnahm sie Speers Tagebuch; etwa das Energiesparprogramm von Heß zur Autobahnbeleuchtung mit Hilfe von Autobatterien. Einmal nur kommen die vier auf das verdrängte Thema ihrer Vergangenheit, als gefragt wird, ob einer von ihnen je den Gedanken hatte “ihn” – Hitlers Name fällt nie – umzubringen. Heß sieht sich sofort von Verrätern umgeben, Speer aber entschlüpft ein Schlüsselsatz: “Ich habe mir den Staat nicht vorstellen können ohne ihn.”
Für das Stück ist die manifeste Lächerlichkeit seiner Personen nicht nur ein Vorteil: es möchte über die aufgespießten Figuren hinausweisen, verliert sich aber zwangsläufig in witzig anekdotischen Fußnoten zur Geschichte. Im kleinen Wolfgang-Borchert-Theater in Münster, das die Uraufführung herausbrachte, wurde dem geschickt entgegengearbeitet, freilich manchmal auf Kosten des Farcen-Charakters. Klugerweise wurde gar nicht erst nach Porträtähnlichkeiten geschielt. Wolfgang Rommerskirchen inszenierte sehr sorgsam im Detail die Männlichkeits- und Herrschaftsrituale beim Umgang mit der schmutzigen Wäsche. Erstaunlich gut das Ensemble. Keinen Augenblick störte es, daß die Heß-Figur einem noch jungen Darsteller überlassen war: Marcus Becker zeigt in seiner starren Haltung die innere Verhärtung eines Unbelehrbaren.
Delius hat sich als Dramatiker verheißungsvoll eingeführt. Man darf auf sein fast vollendetes zweites Stück gespannt sein.
(Werner Schulze-Reimpell, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 26.04.1988)