Friedrich Christian Delius, FCD

Werner Jung: War da was? (Neues Deutschland)

War da was?

F. C. Delius, Paul McCartney und ein Hund

Es beginnt mit einer kleinen Zeitungsnotiz, die davon berichtet, dass am 9. März 1967 um exakt 16.09 Uhr der Hund von Beatle Paul McCartney im Londoner Regent’s Park zwei deutsche Studenten gebissen habe; es endet schließlich mit Paul McCartneys Gegendarstellung, datiert auf den 11. Mai 2005. Dazwischen liegen 64 kurze und (Kürzest-)Texte von einer halben bis zu zwei Seiten Länge, in denen F. C. Delius diese vermeintliche Begebenheit – unerhört kann man sie wohl nicht nennen, eher zufällig und alltäglich – bis in die feinsten Verästelungen, Aspekte, Perspektiven und Ansichten durchmustert, ausleuchtet, betrachtet. Für wert befindet, sie in ein launiges Spiel der Fantasie mit den Begriffen Wahrheit und Wirklichkeit, Kunst als Schein und Vorschein zu verwandeln. Eine referenzielle Angelegenheit oder auch eine referenzlose Geschichte.
Also lässt er diese Begebenheit nicht nur von sämtlichen Beteiligten, sondern auch noch von Nicht-Beteiligten, zufälligen Beobachtern, schildern und vergisst auch nicht, des Rasens, auf dem sich alles abgespielt hat, sowie des Hundes zu gedenken. Er schreibt die Geschichte mal rückwärts, dann als Anagramm, in Sonettform oder im Konjunktiv, als Bericht eines SDS-Genossen an einen bundesdeutschen Arbeitskreis.
Ja – poetologisch aufschlussreich und amüsant dazu – Delius schickt gleich eine Rezension dem eigenen Textpatchwork hinterher, aus der – da ist sich der Rezensent dieser Zeitung sicher – gewiss auch andere wieder zitieren werden: “Die kleine Form, in kleinen Happen, kleingeistig durchgeführt. Stil statt Stoff. Wieder einmal ist zu bedauern: Dieser Autor kann nicht erzählen oder will nicht erzählen. Noch schlimmer: Er weigert sich beharrlich, so zu schreiben, wie er nach unserer maßgeblichen Meinung schreiben sollte.”
Nicht allein, dass Delius listig Erwartungshaltungen unterläuft, seine Textsammlung ließe sich darüber hinaus noch als wunderbarer Beleg für die Anfangsgründe aller (potenziellen) Literatur lesen und verstehen: nämlich als raffinierte Inszenierung von unzähligen Möglichkeiten sowie als sprach- und textgewordenes Erstaunen darüber, dass längst nichts mehr sicher auf dieser festen wohlgerundeten Erde ist. Im Gegenteil. Deshalb ist dann auch die augenzwinkernd vorgetragene wissenschaftlich-seriöse Erklärung nicht weit: “Die Gedächtnisforschung beweist: Gelesene oder im Film gesehene Details, Träume und Phantasien können nahtlos in das wirklich Erlebte integriert werden. Das Gemeine (oder Schöne) daran ist, dass sie uns auch dann lebendig vor Augen stehen wie selbst erlebt, mit festen synaptischen Verbindungen im Mandelkern (Emotionen) und im primären visuellen Cortex verankert. Nichts kann so falsch sein wie die Erinnerung. Darauf eine Arie!”

(Werner Jung, Neues Deutschland, 12.01.2006)

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