Friedrich Christian Delius, FCD

Buch: Linke Hand des Papstes

linkehandDie linke Hand des Papstes

128 Seiten, gebunden
€ 16,95
ISBN 978-3-87134-770-2

Rowohlt E-Book
€ 14,99
ISBN 978-3-644-11561-3

rororo taschenbuch Werkausgabe
128 Seiten, € 8,99
ISBN 978-3-499-26831-1

Übersetzung:
– ins Amerikanische („The Pope’s Left Hand“) von Robert A. Cantrick, ist bei Noumena Press erschienen.

Rom 2011. Ein deutscher Archäologe und Fremdenführer entdeckt in einer evangelischen Kirche zufällig den Papst und gibt sich einem Wirbel von Fragen und Gedanken hin: Wann zuckt die Hand des Papstes, wann nicht? Bewegt sie sich, wenn er den regierenden Schurken sieht? Warum schmeichelt Gaddafi Berlusconi mit dreißig Berberpferden, und warum musste Augustinus den Kaiser mit achtzig numidischen Zuchthengsten bestechen, um die Erfindung der Erbsünde durchzusetzen? Weshalb ist Rom für die Deutschen ein Sehnsuchtsort, obwohl sie dort seit den Germanen, Landsknechten und Nazis als die schlimmsten Barbaren gelten? Eine Kölner Katholikin wäre gern Erzbischöfin, ein Mörder verschenkt das Pantheon, Ratten laufen über die Via Veneto –  der Fremdenführer schaut hinter das Postkarten-Rom, streunt durch die Geschichte und preist die Kunst der Italiener, gleichzeitig ja und nein zu sagen.
Die neue Erzählung von Friedrich Christian Delius: ein sprachgewaltiges Buch über das rätselhafte, herrliche, abgründige Rom der Gegenwart – und eine moderne Legende: wie der Papst zum Lutheraner wurde.


Erste Pressestimmen:

“Neben dem Baedecker gehört dieses Buch ins Gepäck jedes Rombesuchers.”
Deutschlandfunk

„Mit Rassepferden zur Erbsünde: Eine wunderbare Erzählung … Hier macht sich ein freier Geist Luft gegen das schwere Parfüm der römischen Geschichtsübermacht.“ Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung

„’The Pope’s Left Hand’ is an extraordinary, beautifully constructed novella from one of Germany’s finest comtemporary writers.“ New Books in German

„In der Tradition Voltaires tritt Delius mit vergleichbarem Sprachwitz gegen jede Form falscher Verklärung an. Ein im direkten Wortsinn tief schürfendes Meisterwerk. Ein Muss für jeden künftigen Rom-Besucher!“ Neue Westfälische

„Ein schmales, kluges Buch … satirisch und mit sprachlicher Finesse.“ WDR

„,Die linke Hand des Papstes‘ liest sich wie das Gegenstück zu ,Bildnis der Mutter als junge Frau‘: religionskritisch, bildungsgeleitet, mit scharfem Blick auf die politische Gegenwart … Eine doppelte Liebeserklärung: An die schrecklich-schönen Facetten Roms. Und an die Freiheit der Gedanken.“  RBB Kulturradio

“Großartig!” NDR

“Delius’ plastische Formulierkunst bewirkt irritierenderweise, seinen Zuhörern damit gleichzeitig unbändige Lust auf einen baldigen Besuch dieses beschmutzten Mythos zu machen.” Fuldaer Zeitung

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Mit Rassepferden zur Erbsünde

Friedrich Christian Delius hat eine Vision: Er träumt einen evangelischen Papst – und macht daraus eine wunderbare Erzählung

Ein deutscher Archäologe, evangelisch, gebürtig aus Bremen, seit langem in Rom ansässig und mit einer Italienerin verheiratet, geht eines Tages in die evangelisch-lutherische Kirche in der römischen Via Sicilia, um dort etwas Ruhe zu finden. Auf einmal wendet er den Blick zur Seite und sieht – den Papst. Nicht den neuen, sondern den vor einem halben Jahr zurückgetretenen. Nun kam Papst Benedikt XVI. zwar einmal auf Besuch zu seinen deutsch-protestantischen Mitchristen in Rom, aber eben als Papst, mit Ornat und Zeremoniell, auf Kirchenstaatsbesuch. In der neuen Erzählung von Friedrich Christian Delius aber sitzt er ganz ohne Amtshabit in einem einfachen schwarzen Priesteranzug auf einer Marmorbank, zwar begleitet von Sekretär und Kammerherr, aber sonst wie ein normaler Gemeindepfarrer.

Die Erzählung spielt am 6. März 2011, dem sogenannten Sonntag „Estomihi“, einem der Sonntage der Vorfastenzeit. Sein Name greift einen Psalm auf, der nach katholischer Lesart aufs Papstamt mit dem Felsen Petri vorausweist: „Sei mir ein schützender Fels, eine feste Burg, die mich rettet.“ Für Protestanten freilich ist es der Grundtext von Luthers Choral „Ein feste Burg ist unser Gott.“ Am Montag nach Estomihi 2013, es war der 11. Februar, trat Benedikt XVI. von seinem Papstamt zurück. Am Freitag davor, dem 8. Februar 2013, hatte Delius seine Erzählung mit dem Titel „Die linke Hand des Papstes“ fertig an den Verlag gemailt – das darf man wissen und erwähnen, weil Delius es am Ende in einer Notiz mitteilt und damit zu einem Teil des atemberaubend kühnen Motivgeflecht seines Textes macht.

Der Deutschrömer seiner Geschichte nämlich glaubt Zeuge zu werden, wie der inkognito in die evangelische Kirche Roms gekommene Papst nach einigen Minuten des Verharrens auf dem Marmorboden niederkniet, um die dort inkrustierten Buchstaben „Luther“ zu küssen; dann besteigt er die Kanzel und spricht ohne Gesang den Text des Chorals „Ein feste Burg ist unser Gott.“ Was bis in die Morgenstunden des 11. Februar 2013 wie eine fast anmaßende Phantasie wirken konnte, liest man jetzt mit beklommener Nachdenklichkeit. Denn ein Papst, der zu dem radikalen Schritt des Amtsverzichts fähig war, dem darf man wohl auch eine klandestine Sympathie mit dem konfessionellen Konkurrenten zutrauen, jedenfalls in einem Denkspiel.

Sigmund Freud hat die menschliche Psyche einmal mit der Stadt Rom verglichen, aber mit einem Rom, in dem alle Epochen und Schichten gleichzeitig bestehen geblieben sind, also beispielsweise die Kirchen auf dem Forum mit den Vorgängertempeln zusammen existieren und alle Vergangenheiten gegenwärtig bleiben. Und wirklich hat ja selbst das von Ruinen und Bauten aller Epochen zusammengewürfelte reale Rom etwas von solcher Allgegenwart der Epochen, in der die großen Zusammenhänge der europäischen Kultur anschaubar und anfassbar werden: in einer Kirche kann man in vier Stockwerken die heidnische und christliche Religionsgeschichte der Antike durchwandern; Auf römischen Mauern haben lutheranische Söldner ihre Graffiti hinterlassen, neben Kirchen, in denen Luther als Schlange zertreten wird.

Diese Allgegenwart hat Delius nun in einem inneren Monolog klassisch moderner Machart zu einem gewaltigen Bewusstseinstrom gebündelt – ausgelöst von jener traumhaften Begegnung mit einem Papst in der evangelischen Kirche, die einem deutschen evangelischen Römer widerfährt, als sei er ein Katholik, den Gott mit Visionen segnet. Ein überwältigender Einfall! Wenn man aber überlegt, welches Potential an Überfrachtung, Anmaßung und Kitsch er birgt, dann muss man den Kunstverstand bewundern, mit dem Delius diese Idee auf nur hundert lockeren Seiten – dem Lektürestoff für einen Flug von München nach Rom – umspielt und eben nicht metaphorisch, freudianisch oder geschichtsphilosophisch auswalzt.

Gleichwohl wird der Blick auf die linke Hand des Papstes für den Archäologen, der an die Hände der großen Papstbilder von Raffael, Tizian und Velásquez denkt, zum Auslöser einer Abrechnung mit den ganz großen Kausalitäten der christlich-abendländischen Rom-Determiniertheit. Hat der Papst nicht manchmal Lust zuzuschlagen, gar Ohrfeigen zu verteilen? Etwa an seine sündigen, korrupten Priester oder an jenen italienischen Staatschef (es ist Berlusconi), der den libyschen Tyrannen Ghaddafi in Rom zelten, dort Dutzende Jungfrauen zum Islam bekehren und ein Pferdeballett aufführen ließ?

Apropos Pferde – der Archäologe weiß, dass der Heilige Augustinus im fünften Jahrhundert seine Doktrin der Erbsünde mit der Hilfe von achtzig numidischen Pferden durchsetzen ließ, mit denen er jene dogmatisch wenig versierten, dafür auf Rassepferde („den Ferraris ihrer Zeit“) versessenen römischen Heerführer bestach, die dann seinen Gegner Pelagius unterdrückten. In Rom werden Weichenstellungen der Zivilisation – anderthalb Jahrtausende Leibfeindschaft und Sündenbewusstsein – zu Familienanekdoten. Das wäre läppisch und rechthaberisch, hätte Delius es nicht gebrochen als Kopfgeschwurbel eines sympathisch versponnenen und hochgebildeten älteren Herren. Aber noch in dieser Brechung, als Gedankenkammerspiel, enthält es genügend von der großen Geschichtssymphonie, die sich mit dem großen, schrecklichen Namen Rom verbindet, um dem empfänglichen Leser Schauer über den Rücken zu jagen.

Alles kommt in der halben Viertelstunde dieser Papstbegegnung zu Bewusstsein, zum freudianischen Allgegenwartsbewusstsein einer römisch gewordenen Seele: die Kirche, das Papsttum, die Macht, die Sünden, der Widerspruch Luthers, die Verfolgung der Juden, die Deutschen in Rom, der jüngste Zerfall Roms – „Rom ist ewig, weil sein Verfall unendlich ist“ wird zitiert -, die Korruption seiner heutigen Herrscher, die ewige Lust der schönen Frauenkörper in den römischen Gemälden und Statuen, Michelangelos protestantischer Widerspruch gegen das Papstamt in den Wandgemälden der Sixtina; aber all dies ohne Schwere, ohne das oft Lastende des römischen Stils in Kunst und Historie.

Hier macht sich ein freier Geist Luft gegen das schwere Parfüm der römischen Geschichtsübermacht – und dass er dabei mehr tut als subjektiv bramarbasieren, zeigt die fast aberwitzige Koinzidenz der beiden Sonntage „Estomihi“ 2011 und 2013: Am ersten träumte Delius einen lutheranischen Papst, am zweiten fand der erste Papstrücktritt seit 700 Jahren statt. Es muss etwas in der Luft gelegen haben.

(Gustav Seibt, Süddeutsche Zeitung, 18.09.2013)

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 Gottes Zucken

Friedrich Christian Delius holt in die “Linke Hand des Papstes” zum Schlag aus gegen Berlusconi

Klatsch! Auf die rechte Wange. Im Sommer 2010 erhebt Papst Benedikt XVI. als Hand Gottes auf Erden seine Linke gegen den Korruptionskönig und Mafiafreund Silvio Berlusconi. Alle Anwesenden des Treffens im Vatikan sind perplex. Der Ausbruch könnte Italiens Premier über Nacht zu Fall bringen. Doch keine Kamera hat die Szene gefilmt. So dauerte es noch drei Jahre, bis Berlusconi abserviert wurde und Italien die Chance zum politischen und moralischen Neuanfang erhielt.

Das ist nicht wahr? Stimmt. Das Ganze hat so nie stattgefunden. Aber ist es nicht vorstellbar? Friedrich Christian Delius bringt seine Leser in der Novelle „Die linke Hand des Papstes“ dazu. 1943 als Sohn eines deutschen Pastors in Rom geboren, ließ sich der 71-jährige Büchnerpreisträger nach einem Leben in Deutschland nochmals für eine Dekade in der italienischen Hauptstadt nieder.

Dortwurde er Zeuge der finsteren Berlusconi-Ära. Sein Buch ist eine vor Liebe brennende Tirade gegen den Stumpfsinn jenes Verfalls, scharfsinnig und leichtfügig, ironisch zudem, vor allem gegen wirklichkeitsvergessene Rom-Schwärmereien deutscher Provenienz.

Delius’ Erzähler ist Stadtführer, ein aus Bremen stammender Archäologe. Bewandert im Freilegen von Untergründigem, Verborgenem. Papst Pius XII., berichtet er, habe seinem Onkel Helmut, Sanitätsoffizier im Zweiten Weltkrieg, einmal bei einer Audienz die Hand gedrückt und gesagt: „Sie haben Glück, dass Sie so einen Führer haben.“ Bis heute weiß die katholische Kirche nichts dazu zu sagen, dass sie selbst die katholisch konvertierten Juden nicht vor der Deportation schützte.

An einem März-Sonntag im Jahr 2011 sucht Delius’ Stadtführer einen ruhigen Moment in der protestantischen Kirche an derVia Sicilia. Plötzlich nimmt auf der Bank nebenan ein Herr mit zwei Begleitern Platz. Es ist der Papst! In der Wirklichkeit wäre das Papst Benedikt XVI., zwei Jahre vor seinem Rücktritt. (In der Nachbemerkung zum Buch versichert Delius, das fertige Manuskript exakt drei Tage vor dem Rücktritt des deutschen Papstes per E-Mail an den Verlag geschickt zu haben.) Aus Diskretion sieht der Erzähler nur aus dem Augenwinkel hinüber, betrachtet die linke Hand auf dem linken Knie des Pontifex. Ein Detail, das die Novelle über die nächsten 120 Seiten spielerisch vergrößert und durch packende Reflexionsschleifen schickt.

Welche Macht hat so eine katholische Hand? Allein in Italien gehorchen ihr 80 Prozent der Bevölkerung, und weltweit bekennen sich 1,2 Milliarden Menschen zu ihr. Was hätte eine symbolische Ohrfeige für Berlusconi bewirkt? Eine starke Wirkung wäre ebenso überraschend wie gar kein Effekt. Etwa im Zuge einer jener unsäglichen Freundschaftsbesuche des libyischen Diktators Gaddafi, der sich busweise Italienerinnen von einer Modelagentur ankarren ließ, um sie eigenhändig zum Islam zu bekehren, während er für seinen Freund Silvio 30 Berberpferde zur gemeinsamen Parade im Gepäck hatte. Ob da was gezuckt hat beim Papst?

Delius’ Erzähler überlegt, ob Benedikt von einer öffentlichen Geste der Empörung absah, weil er nicht an eine peinliche Pferdegeschichte im eigenen Haus erinnern wollte. Schließlich habe Kirchenvater Augustinus die Erbsünde nur durch einen buchstäblichen Pferdehandel im christlichen Kodex etablieren können. Seinen theologischen Gegner Pelagius, der eine Doktrin freien und unschuldigen Geborenseins vertrat, habe Augustinus ausgestochen, indem er dem Kaiser numidische Zuchthengste zuführte, „der Ferrari jener Zeit, der überdies neue Ferraris zeugte“.

Prompt sei Pelagius verbannt und die Erbsünde zum Gesetz erklärt worden. Und deshalb muss sich seit 1500 Jahren jeder Teenager schuldig fühlen, sobald sich das fleischliche Begehren regt? Hätte damals keiner Augustinus eine schmieren können?

Die Geschichte von Gaddafi, den Models und den Berberpferden, so unglaublich sie klingt, ist tatsächlich wahr. Man findet sie im Netz, Delius zitiert die entsprechenden Agenturmeldungen fast wörtlich.Von Augustinus’ folgenreichem Bestechungscoup aber wissen weder die Weiten des Internets noch eigens befragte Theologie-Professoren.

Kann die Geschichte nicht dennoch stimmen? Was ist Fakt, was Fiktion, was erhellende Einbildung? So viel hat der Erzähler geschafft: Das Vertrauen in die Autorität vermeintlich gesicherten Wissens ist erschüttert.

Am Ende bekennt sich die Papstfigur per Kuss mit den Lippen zu Luthers Buchstaben im Kirchenboden und probt, wieder aufgestanden, „Ein feste Burg“ von der Kanzel aus zu rezitieren. Fast lehrbuchgetreu stellt sich „Die linke Hand des Papstes“ als aufklärerisches Projekt vor. Allerdings tritt es in der Form eines Streichs auf – als Einladung: zum Schmunzeln und Selberdenken.

Thomas Wild, “Der Tagesspiegel” 16. Februar 2014

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