Friedrich Christian Delius, FCD

Lutz Hoyer: Monarchen-Marketing (Berliner Morgenpost)

Monarchen-Marketing

Friedrich Christian Delius nimmt die Macher unserer Medienwelt aufs Korn
Spät, nach einer von vielen Live-Sendungen im Fernsehen, geschieht dem berühmten Autor das Unwahrscheinliche: Ihm ist, als liege er leibhaftig mit “Marie” im Bett eines Hamburger Hotels. Mit der schönen, liebeskundigen Tänzerin aus dem Roman, an dem er gerade arbeitet. Und auch er fühlte sich ihrem hoch gestellten Geliebten, dem Oranier-Prinzen, noch nie so nah wie in dieser Nacht. Das heiter-schlüpfrige Rollenspiel signalisiert das fortgeschrittene Stadium einer akut schizophrenen Psychose, Vorbote von jähem Absturz.
Noch aber ist Albert Rusch, zumindest nach außen, auf der Höhe seines Ruhms. Mit dem 41-jährigen begegnen wir dem Ich-Erzähler in Friedrich Christian Delius’ neuem Roman “Der Königsmacher”. Ein Genie der Selbstvermarktung, in allen Medien präsent, gilt er doch als Erfinder des Preußenjahres 2001, als unermüdlicher Trommler in Sachen preußischer Tugenden. (“Was wir brauchen, ist: Monarchen-Marketing.”) Vor allem aber ist er begehrt und bewundert als Spross einer bis auf den Soldatenkönig zurückgehenden Linie. Eine geschickte Manipulation der nach höfischem Klatsch gierenden Öffentlichkeit, durch Selbsthypnose für ihn selbst in den Rang einer Gewissheit erhoben.
Dabei ist der Mann, nach Anfangserfolgen, ein Versager. Sein letztes Buch, eine Ost-West-Geschichte, verkaufte sich schlecht, nur 1439 Mal. Die Lesereisen bleiben aus, der Verlag wird skeptisch und knauserig, die Existenz ist bedroht. Ein Bestseller muss her, ein Roman nach dem Geschmack des Massenpublikums, am Reißbrett entworfen, mit Liebe, Tod und Leidenschaft. Vielleicht ein Märchen oder ein Mädchenroman, eine Art “Vom Winde verweht” in Mecklenburg.
Da spielt das Schicksal dem verzweifelten Literaten die um 1806 und Folgejahre angesiedelte Geschichte des Erbprinzen von Oranien in die Hände, später niederländischer König Willem I., und der Tänzerin Marie, einer Bäckerstochter in Berlin. Die Liaison beschert beiden eine Tochter, Wilhelmine, liebevoll Minna genannt. Wie sie bei wechselnden Pflegeeltern aufwächst, bis zur Heirat im zarten Alter von 17, bestimmt den Fortgang des Handlungsstranges. Die Unglückliche stirbt jung, ohne je ein Wort über ihre Herkunft erfahren zu haben… Der Verlag beißt nach ersten Arbeitsproben begeistert an, erhöht den Vorschuss, aber Rusch verliert in dem Maße die Lust am Schreiben, in dem er die preußische Geschichte und damit das Terrain für die eigene Selbsterhöhung erkundet. Immerhin “entdeckt” er in Minna seine Ur-Ur-Großmutter.
Delius verschränkt also gleich mehrere Geschichten. Jede für sich wäre trivial: Das Leid einer unehelichen Königstochter, die Entzauberung unserer Medienwelt, die Selbstinszenierung eines mittelmäßigen Schriftstellers. Wie Delius das kompositorisch und stilistisch bewältigt, weist ihn einmal mehr als einen der wichtigsten deutschen Gegenwartsautoren aus. Die Szenen um Minnas Kindheit und Jugend, wie im Drama verknappt auf kurze Dialoge, wollen “Rohfassung” sein, ohne ausschmückende Beschreibungen von Landschaften und Interieurs – eine Aufgabe für später. Wenn gelegentlich Kostproben dafür geboten werden, geschieht es augenzwinkernd: “Es muss immer wieder gesagt werden, was Herbst ist: Die niedrig stehende Sonne spendete eine milde Wärme…” Das schafft unterschiedliches Tempo, hat Witz und ist gut zu lesen.
Die Passagen indessen, die von Aufstieg und Fall eines Autors handeln, der moderne Marketing-Strategien zu nutzen lernt und dabei immer mehr in den Wahn abdriftet, sind in beinahe kühler, sehr präzise, von knappen Sätzen bestimmte Prosa gefasst. Zum Ende hin, als Ruschs Liebe zur “Mädchenkönigin Luise” zur orgiastischen Verzückung entflammt, legt der Text die Strenge ab und gewinnt beinahe rauschhafte Züge. Freilich meint man im Unterton immer zu hören, wie Delius seinen Helden spöttisch beobachtet, ohne ihn lächerlich zu machen. Die Sache ist jedoch vertrackt, denn in einer dem Roman vorangestellten Bemerkung will der Autor nur als Herausgeber angesehen werden. Verfasser “von der ersten bis zur letzten Seite”, halb Beichte oder Tagebuch, halb Skizzenblock, sei eben Albert Rusch, der sich damit selbst kommentiert. Auch das ein Kniff, der das Lesevergnügen steigert.
F.C. Delius, dem 1943 in Rom geborenen, heute in Berlin lebenden Autor, ist mit “Königsmacher” ein großer Wurf gelungen. Im Gewand eines rührseligen historischen Romans nimmt er das Geschäft von Leuten aufs Korn, denen Grundsätze, Überzeugungen und intellektuelle Redlichkeit abhanden gekommen sind. Da erscheint Geschichte als “Schatztruhe”, die beliebig für jede These geplündert werden kann, während sich Fernsehen, Funk und Presse um der Quote willen zu willfährigen Transporteuren Skandal umwitterter Botschaften machen. Heute das, morgen das, aber immer “Pop”. Und mittendrin ein Autor, den die Jagd nach Erfolg erst um die eigene Integrität, dann um den Verstand bringt. Dass Delius jeden eifernden Ton meidet, stattdessen höchst unterhaltsam bleibt, wird ihm mehr als 1439 verkaufte Exemplare einbringen. Wetten?

(Lutz Hoyer, Berliner Morgenpost, 30.9.2001)

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