Friedrich Christian Delius, FCD

Cornelia Staudacher: Preußens Gloria in den Fängen der Bewusstseinsindustrie (Stuttgarter Zeitung)

Preußens Gloria in den Fängen der Bewusstseinsindustrie

Das Leben der Minna von Dietz, medial vermarktet – Friedrich Christian Delius‘ Roman „Der Königsmacher“
Ein Autor sucht einen Autor, um unter dessen Namen seine bizarre, von ihm selbst erlebte Geschichte zu erzählen, und Friedrich Christian Delius, dem das literarische Jonglieren zwischen fiktionalen und dokumentarischen Elementen seit je liegt, hat sich auf das Spiel eingelassen, wie der dem Roman vorangestellten Anmerkung zu entnehmen ist. Ein Freundesdienst se es gewesen, kommentiert er lakonisch und fügt augenzwinkernd hinzu, mehr als die Tätigkeit mit Albert Rusch, dem Königsmacher, nicht gemein zu haben.
Albert Rusch, ein wenig erfolgreicher Autor um die vierzig, will endlich den großen Coup landen. Nicht der spritzige Wenderoman, nicht die sentimentale Nabelschau auf heutige Befindlichkeiten, mit der die Endzwanziger vorwiegend weiblichen Geschlechts derzeit große Erfolge einheimsen, wie er pikiert feststellt, ist sein Sujet. Er greift lieber in die Mottenkiste der preußischen Geschichte. Thema des Romans, der hier allmählich entstehen soll, ist das kurze, glücklose Leben der Wilhelmine oder Minna von Dietz, Sprössling einer unstandesgemäßen Liaison zwischen Wilhelm von Oranien, dem ersten holländischen König, und einer Berliner Tänzerin. Minna, um die in den adligen Kreisen jener Jahre regelrecht gefeilscht wurde, war nur ein kurzes, materiell gesichertes, doch freudloses, in keiner Weise selbstbestimmtes Leben beschieden. Mit siebzehn wurde sie an einen Cousin verheiratet. Sie starb im Alter von dreiundzwanzig, ohne je ihre wahre Herkunft erfahren zu haben.
Das Leben der Minna von Dietz – wäre das nicht der ideale Stoff für einen auflagenstarken Bestseller, ohne opulenten Historienschinken vor dem Hintergrund der Befreiungskriege gegen Napoleon, oder für ein Fernsehspiel zur Primetime, sinniert Albert Rusch und gerät, während er noch auf der Suche nach der geeigneten Präsentation seiner beklagenswerten Heldin mit allen möglichen literarischen Genres herumexperimentiert, in den Strudel der multimedialen Unterhaltungsindustrie.
Und da sein Argwohn gegenüber den Erfolgen einiger seiner Kollegen groß und sein Ehrgeiz ungemein angestachelt ist, lässt er sich auf die rasch zunehmende Zahl von Einladungen zu Interviews und Talkshows genussvoll ein. Vom wachsenden Medienrummel geschmeichelt und beeindruckt von seiner Eloquenz und Überzeugungskraft, erfasst ihn eine solche Preußenseligkeit, dass er seine Fantasie nicht mehr im Zaume zu halten vermag. Er imaginiert sich als später Nachfahren des preußischen Königsgeschlechts, wird zum Verteidiger preußischer Tugenden und feurigen Apologeten von Preußens Glanz und Gloria. Zu guter Letzt verfällt der in abgöttischer Liebe zur Königin Luise Entbrannte gar der Illusion, wiedergeliebt zu werden. Ihm verdanken wir schließlich, wie Delius bei Lesungen augenzwinkernd zu verstehen gibt, die Erfindung des Preußenjahres.
Sein trauriges Ende sei nicht verraten. Nur so viel: der avisierte Roman kommt nicht zustande, und das Leben Albert Ruschs nimmt, wie es in einer veritablen Posse nicht anders zu erwarten ist, einen völlig unerwarteten Verlauf. Wie häufig in der schrillen, aggressiven, quotenorientierten Medienlandschaft folgt auch hier dem schnellen Aufstieg ein schneller Fall.
Der Jux, den sich der Autor daraus macht, der unter massenmedialen Vermarktungsstrategien ächzenden Gesellschaft einen Spiegel vorzuhalten und am medialen Lack der Spaßgesellschaft und der literarischen Eventkultur zu kratzen, überträgt sich spielend auf den Leser. Sein Faible für bizarre, in sich gebrochene Helden hatte Delius schon in seinem letzten Roman, „Die Flatterzunge“ bewiesen. Die ironisch unterlegte, emphatische Darstellung des unseligen Berliner Musikers, der in einem israelischen Hotel eine Rechnung mit Adolf Hitler unterschreibt, löste auch Irritationen aus. Auch Albert Rusch, der sich in seiner fieberhaften Preußenmanie selbst ins mediale Aus katapultiert, ist gänzlich ungeeignet, als Sympathieträger und positive Identifikationsfigur herzuhalten. Und doch gelingt es Delius auf nonchalante, unaufgeregt humoristische Art, lächelnd für seinen Helden einzunehmen.
Ein Beweis, dass Albert Rusch bei seiner Suche nach einem Autor auf den richtigen getroffen ist. Denn die amüsante Roman-Parodie, die nicht nur eine Satire auf den Literatur- und Medienbetrieb, sondern auch auf das massenmedial aufgeblähte Preußenjahr ist, wird das Letztgenannte mit Grandezza überleben.

(Cornelia Staudacher, Stuttgarter Zeitung, 1.2.2002)

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