Friedrich Christian Delius, FCD

Hat der Humor seinen Ernst verloren?

HAT DER HUMOR SEINEN ERNST VERLOREN?
Imre Kertész und Jan Böhmermann, Jean Paul und die »heute-show«

Verlustanzeige. »Der Humor hat seinen Ernst verloren.« Als dieser Satz mir zum ersten Mal vor Augen kam, lachte ich auf, lachte von Herzen: Welch ein Treffer! Eine beiläufige, bescheidene Feststellung in den Aufzeichnungen »Der Betrachter« des verehrten Imre Kertész und zugleich eine Provokation. Der Satz wippt zwischen den Gegensätzen Humor und Ernst hin und her, spöttisch auf seiner vorgetäuschten Paradoxie schaukelnd. Auf den ersten Blick eine gelungene Formulierung über die allgemeine Verwahrlosung des Witzes und des Humors, und doch viel mehr als ein wohlfeiler Alles-geht-abwärts-Seufzer, als die lähmende Schwermut der Älteren, die den Verfall der Sitten, der Bildung, der Werte und nun auch noch des Humors bejammern. Auf den zweiten Blick eine Einladung zum Widerspruch. Obwohl anderweitig genügend beschäftigt, fachten diese sechs Worte sofort meine Lust an, hier einmal nachzuhaken und ihre Frechheit und Tiefe auszuloten.

Abwehr der Abwertung. In dem Notat von 1995 spricht Kertész, angelehnt an Nietzsche (»Große Dinge verlangen, daß man von ihnen schweigt oder groß von ihnen redet«), vom postmodernen Intellektuellen, »der die großen Dinge nicht als große Dinge sehen will«, womit die Existenzfragen Tod, Liebe, Vernichtung, Tragödien gemeint sind. »Das Erleben großer Dinge auf Art kleiner Dinge, mit Ironie« versteht er als »Abwertung der großen Dinge, Abwertung des Stils, Abwertung des Lebens, emotionale Sparflamme. Das Erleben kleiner Dinge auf Art großer Dinge – Trübsinn, Verfälschung, Moralisiererei, Humorlosigkeit«. Doch die postmoderne Mode lasse nach, unklar sei, zu welcher neuen Falschmünzerei das führe, in der gegenwärtigen Zeit jedenfalls erlebe »man selbst die großen Erlebnisse kleinlich – genauer gesagt, man erlebt sie nicht, sondern moralisiert oder witzelt über sie«. In diesem Kontext folgt nun die elegante Pointe »Der Humor hat seinen Ernst verloren«, und nach einem Semikolon geht es weiter: »und die ernstesten Dinge macht die Theorie der allgemeinen Relativität zu vernachlässigbaren Anekdoten«.

Auch wenn Einstein gewiß nichts für diese Entwicklung kann, es stellt sich die Frage, wie sehr die Kertészschen Gedanken auf den heutigen allgemeinen Drall ins Anekdotische, ins Witzelnde, in die leichtfertige Runtermacherei, in die Stillosigkeit zutreffen. Bei seinem untrüglichen Gespür für Wahrhaftigkeit und Verlogenheit wird Kertész ja fast immer, wie auch hier, zum Ästhetiker, zum großen Stilkritiker und zum vorbildlichen Stilisten. Besser als mit diesen sechs Worten kann man in der Frage nach dem Humor nicht provozieren. Der Ernst hinter dem Ernst. Wer den zitierten Satz als Westmensch liest, sollte wissen, welche Art von Ernst den Hintergrund der scheinparadoxen Formulierung bildet. Bereits 1979 schrieb Kertész im »Galeerentagebuch«: »Ein schriftstellerisches Werk hervorzubringen, ein organisches menschliches Gebilde, ist heute, hier, in dieser Situation, auf jeden Fall eine humoristische, um nicht zu sagen komische Handlung. Ob es möglich ist, heute, hier ein solches menschliches Gebilde hervorzubringen, in dem der Humor, um nicht zu sagen, die Komik dieser Handlung nicht gegenwärtig ist? Wenn ein solches Werk wirklich entstehen kann, dann kann allein dieser Humor, um nicht zu sagen, diese Komik für seine Qualität bürgen.« Humor also nicht nur als Überlebensmittel in der Diktatur, sondern als subversivstes Elixier auch für den Autor und seine »negative Poetik« (Irène Heidelberger-Leonard). László Földényi spricht in seinem Imre-Kertész-Wörterbuch unter dem Stichwort Lachen vom »Gelächter des Überlebenden« und zitiert aus dem »Galeerentagebuch« einen anderen Satz: »Damit, daß ich hier blieb, habe ich mich dem Tragischen, das heißt dem Schicksal entzogen und mich dem Komischen, dem Massenschicksal und seinen wimmelnden Zufällen unterworfen.« Dieses Lachen, so Földényi, »ist kein Mitlachen mit dem Schicksal, sondern der zum Lachen verzerrte Hilfeschrei des aus dem Schicksal ausgestoßenen Menschen«.

Für diesen Essay ist es unerheblich, ob Kertész selbst Humor hatte. Aber kein Zweifel, er hatte. Wer ihn kannte, wird es bestätigen. Sein Lachen war so berühmt, daß es oft beschrieben wurde, von Péter Esterházy, Ilma Rakusa, Ferenc Fejtő, László Földényi und anderen. Selbst seine eigene Heiterkeit sah er mit der Distanz des Humoristen. Ein anderes Thema wäre der Humor in »Fiasko«, in der »Englischen Flagge«, in »Kaddisch« und weiteren Werken, da warten auf Literaturwissenschaftler noch schöne Aufgaben.

Konjunktur der Häme. Der Satz vom verlorengegangenen Ernst des Humors wurde geschrieben, als der totalitäre Ernst in Osteuropa deutlich nachließ. Doch er erscheint mir ebenso produktiv, wenn man ihn auf die westlichen, demokratischen Gesellschaften bezieht, die Kertész mit seinem Verweis auf die Postmoderne ebenfalls im geschärften Blick hatte.

Es wäre zu prüfen, ob mit der Epochenwende 1989 auch eine Wende der Witzkultur begann. Mindestens vier Indizien dafür schossen mir durch den Kopf, als der Kertész-Satz zu wirken begann:

– Übersteigerte Humorempfindlichkeit: Der Ernst der deutschen Vereinigungen vertrug zunächst mal keinen Humor – zum Beispiel hat kein »Titanic«-Titel so massive Empörung geerntet wie »Zonen-Gaby« mit »Meine erste Banane«, die eine Gurke war. Schnell beleidigt zu sein, sich bei jeder Gelegenheit gekränkt zu fühlen, scheint seitdem in Ost und West eine Volkskrankheit zu sein. Ob Mauerfall, 11. September oder Herbst 2015, nach diesen Ereignissen ist der Ton immer noch ein paar Grade ruppiger, ungeduldiger geworden – zu Lasten der Freiheit gelassenen Lachens.

– Verleugnung der Widersprüche: Wenn klar ist, wer der Sieger ist, muß nicht mehr viel argumentiert, um bessere Denkweisen gerungen, intelligent gefochten werden. Das »anything goes« der Postmoderne hieß ja auch: Widerspruch ist nicht mehr gefragt oder nicht mehr ernst zu nehmen, Humor – also der zweifache, widerspruchsfreudige, selbstkritische Blick auf die Welt – auch nicht. Als Ausgleich heißt es: »Don’t worry, be happy« (einer der Hits des Jahres 1989), es wird ja irgendwie weitergelacht.

– Neue Spaßmacher: Nachdem die mit Hilfe der CDU installierten Privatsender in den achtziger Jahren »die Fernsehlandschaft umpflügten und sämtliche bis dahin bekannten Grenzen des guten Geschmacks überrannten« (Gerhard Henschel), konnten sie in den Neunzigern mit Comedians auftrumpfen, die mehr Zoten als Witz zu bieten hatten, mit Rappern, die mit Menschenverachtung hausieren gingen, und mit Moderatoren, die nichts so lächerlich machten wie Bildung, Schule, Respekt und Diskussionskultur. (Nach wie vor ein Tabuthema: wie die Privatsender und die zum Leitmedium gewordene »Bild«- Zeitung an der Verächtlichmachung bürgerlicher Werte, an der geistigen Verwahrlosung breiter Schichten der bundesdeutschen Gesellschaft mitgewirkt haben – mit der Pointe, daß die CDU-Kinder der einst so militant aufklärungs- feindlichen, das Privatfernsehen durchboxenden Ministerpräsidenten wie Albrecht, Filbinger, Strauß, Stoiber heute am lautesten nach einer Leitkultur rufen.)

– Konjunktur der Häme: Nebenan in den Feuilletons der Ton der höheren Häme, nicht nur beim Meinungsgeplänkel, auch in der Kunst- und Literaturkritik. Gleichzeitig galten nun Ego-Argumente mehr als politische oder ästhetische. Das urteilende Ich, das abfertigende Subjekt, egal ob Comedian, Rapper oder Kritiker, durfte sich zur höheren oder höchsten Instanz aufpumpen. Schließlich sind an den weltweiten Stammtischen der Follower Hohn und Häme die mächtigsten kleinsten gemeinsamen Nenner geworden.

Was mir bei Kertész’ Satz einfiel, ist hier nur grob skizziert. Aber die These scheint mir schwer zu widerlegen: Der Fall der Mauern begünstigte die Ego-Kultur, und die ist das Gegenteil der Humor-Kultur.

Definieren Sie erst mal! Die Möglichkeiten, mit sprachlichen Mitteln Lachen zu
erzeugen, sind so vielfältig, daß man es erst einmal präzisieren müßte, von welcher Sorte Komik man jeweils spricht. Da haben wir den Scherz (Witz), die Satire (macht ihren Gegner lächerlich, attackiert und verurteilt, will verändern), die Ironie (unterläuft Pathos, Tiefe, Enthusiasmus), die Comedy (Lächerlichmachen von allem und jedem mit möglichst hoher Lachfrequenz) und die tiefere Bedeutung Humor. Aber was, bitte schön, ist Humor? Wer anfängt, diesen Begriff zu definieren, gerät rasch in den Verdacht, humorlos zu sein. Man könnte sich also, um keine Humorwächter zu provozieren, mit dem Satz von Karl Valentin begnügen: »Jedes Ding hat drei Seiten, eine positive, eine negative, eine komische.« Aber die Frage ist ja: Wie wird die komische Seite sichtbar, wie wird Humor evoziert?

Eine rundum taugliche Formel, eine Allzweck-Definition des Humors scheint es nicht zu geben. Ob Freud oder Schopenhauer, Kierkegaard oder Thomas Mann, jeder pflanzt, wie Marleen Stoessel in ihrem Überblick »Lob des Lachens« darlegt, eine eigene philosophische Nuance in den Begriff. Selbst Humoristen sind beim Definieren ihrer Fähigkeit überfordert, und die Formel »Humor ist, wenn man trotzdem lacht« trifft haarscharf daneben, weil das »trotzdem« einen unguten protestantischen Ernst enthält und nicht jeder Humor direktes Lachen als subjektive Reaktion zur Folge hat.

Ich halte mich an Jean Paul und biete vorläufig und hilfsweise drei Kriterien an: Humor ist, wie er im Roman »Hesperus« schreibt, »die Frucht einer langen Vernunft-Kultur« – also Ergebnis von Gelassenheit, Wissen, Weitsicht, Distanz. Humor zeigt sich dann, wenn der Blick auf die Welt, auf die Menschen nicht einseitig ist, sondern mindestens von einer zweiten Perspektive relativiert wird, wenn also ideologisches, fanatisches, rechthaberisches, narzißtisches Denken verlacht, ja ausgeschlossen wird. Daraus ergibt sich drittens, daß Humor mehr auf eigene Unzulänglichkeiten und Fehler oder den Weltzustand zielt als auf einzelne, und seien sie noch so große Trottel oder Verbrecher.

Auf in die Vorschule! Wer genauer wissen will, wie sich Humor, Witz, Komödie, Satire, Ironie, Scherz und ihre tieferen Bedeutungen voneinander unterscheiden, kann sich in der bewährten »Vorschule der Ästhetik« umtun. Vor über zweihundert Jahren hat Jean Paul, der Erzhumorist der deutschen Klassik, sich die Mühe des Differenzierens gemacht. In seiner höheren Schule für Witzproduzenten und Humoristen aller Länder könnte die erste Stunde mit diesen Sätzen beginnen: »Der Humor, als das umgekehrt Erhabene, vernichtet nicht das Einzelne, sondern das Endliche durch den Kontrast mit der Idee. Es gibt für ihn keine einzelne Torheit, keine Toren, sondern nur Torheit und eine tolle Welt; er hebt – ungleich dem gemeinen Spaßmacher mit seinen Seitenhieben – keine einzelne Narrheit heraus, sondern erniedrigt das Große, aber – ungleich der Parodie – um ihm das Kleine, und erhöhet das Kleine, aber – ungleich der Ironie – um ihm das Große an die Seite zu setzen und so beide zu vernichten, weil vor der Unendlichkeit alles gleich ist und nichts.«

Auch wenn wir heutigen Schwachsprachler der Jean Paulschen Raffinesse des Satzbaus und der Argumente nicht leicht zu folgen vermögen, mit dieser Formel ließe sich arbeiten. Sie liefert das ergiebigste Kriterium gegen den Simpelhumor: ein witziger Angriff auf die einzelne Torheit, den einzelnen Trottel kann Satire sein, ist aber kein Humor.

Jean Paul preist die »Welt-Verlachung, den Welt-Humor, der nie das Einzelne meint und tadelt«, und erklärt das an Lawrence Sternes Roman »Tristram Shandy«: »Alle Lächerlichkeiten im Tristram, obwohl meist mikrologische, sind Lächerlichkeiten der Menschen-Natur, nicht zufälliger Individualität.«

Hier der »Humorist«, dort der »gemeine Spötter« – das ist nicht moralisch gemeint, sondern ästhetisch: »Die humoristische Milde und Duldung gegen einzelne Torheiten« zielt aufs Ganze, »weil der Humorist seine eigene Verwandtschaft mit der Menschheit nicht leugnen kann; indes der gemeine Spötter, der nur einzelne Streiche des gemeinen und gelehrten Wesens wahrnimmt und auf- zählt, im engen, selbstsüchtigen Bewußtsein seiner Verschiedenheit … desto wilder von seinem Pferde herab die Kapuzinerpredigt gegen die Torheit hält.«

Der Ernst bei Jean Paul. »Die Vorschule der Ästhetik« habe ich jedoch nicht deshalb aus dem Regal geholt, um dem erfahrenen Autor beim heiteren Sezieren des »Lach-Stoffs« zuzuschauen und seine Unterscheidungen von Lächerlichem und Komischem, von Ironie, Witz, Parodie, Satire, Spott usw. hier sehr vereinfachend nachzuzeichnen. Was ich in der »Vorschule« vermutete und überraschend schnell fand, war eine geheime Verwandtschaft zwischen Jean Paul und Imre Kertész. Wie für Kertész in seiner Notiz von 1995 ist auch für Jean Paul die Frage der Witzkultur eine gesellschaftliche: »Je unpoetischer eine Nation oder Zeit ist, desto leichter sieht sie Scherz für Satire an, so wie sie umgekehrt die Satire mehr in Scherz verwandelt, je unsittlicher sie wird … Der Scherz fehlt uns bloß aus Mangel an – Ernste, an dessen Stelle der Gleichmacher aller Dinge, der Witz, trat, welcher Tugend und Laster auslacht und aufhebt.« Jean Paul erläutert das an den Unterschieden zwischen französischem Witz und britischem Humor und erwähnt nebenbei, und ohne auf sich selbst anzuspielen, daß der »ernste geistliche Stand« die größten Komiker hervorgebracht habe. »Die Alten« dagegen, also die Griechen, Römer, Südländer, »waren zu lebenslustig zur humoristischen Lebensverachtung«.

Ein Gedanke, der ganz auf Kertész’ Linie zu liegen scheint: Ist es unsere südländisch, »lebenslustig« gewordene Postmoderne, die den Ernst der »humoristischen Lebensverachtung« vertrieben hat? Wenn es nichts »Ernstes, Erhabenes« mehr gebe, dann könne es auch kein »Lächerliches« (positiv gemeint) geben, da das Lächerliche das Gegenteil, ja der »Erbfeind« des Erhabenen ist: »Das Lächerliche besteht in der plötzlichen Auflösung der Erwartung von etwas Ernstem in ein lächerliches Nichts«. Die Ungarn, die Deutschen als die neuen Römer und Griechen? Da würde man gern weiterspekulieren …

Doch Jean Paul bringt uns schnell wieder auf den Boden der Tatsachen: »Gleichwohl wären wir (Deutschen) vielleicht alle ernsthaft genug für den einen oder anderen Spaß, wenn wir mehr Staat-Bürger (citoyens) als Spieß-Bürger wären.« Der Ernst bleibt für ihn die wichtigste Grundierung des Witzes: »Nach jeder pathetischen Anspannung gelüstet der Mensch ordentlich nach humoristischer Abspannung; aber da keine Empfindung ihr Widerspiel, sondern nur ihre Abstufung begehren kann: so muß in dem Scherze, den das Pathos aufsucht, noch ein herabführender Ernst vorhanden sein. Und dieser wohnt im Humor.« In einem Humor, der sich »geradezu an seinen Widersprüchen und Unmöglichkeiten« erfreut.

Indem Jean Paul Kertész bestätigt, scheint er ihn auch zu widerlegen. Der ältere
Bayreuther Dichter kritisiert den Verfall des Humors nicht weniger deutlich als der jüngere Budapester Dichter. Sollen wir also bemängeln, daß Kertész’ Erkenntnisse so neu nicht sind und vielleicht gar nicht so viel mit der Postmoderne, der Nachwendezeit zu tun haben, wie er meinte? Nein, Jean Paul urteilt über einzelne Autoren, Kertész hingegen sehr pauschal. Zudem macht der an Jean Paul geschärfte Blick erst die Allgemeingültigkeit der Kertészschen Notiz deutlich.

Für diese Allgemeingültigkeit spricht, daß auch für den Jean-Paul-Gegner Schopenhauer und seine »Theorie des Lächerlichen« der Ernst eine zentrale Kategorie ist: »Je mehr ein Mensch des ganzen Ernstes fähig ist, desto herzlicher kann er lachen.« Und als Bestätigung könnte man, neben hundert anderen Beispielen, auf das Betriebsgeheimnis des Weltmeisters in Sachen Komik, des »dialektischen Ironikers« Shakespeare, verweisen, das Frank Günther so definiert: »Er besaß die seltsame Fähigkeit, in allem, was da ist, das glatte Gegenteil sehen zu können: die Komik, die im tiefen Ernst liegt, wie den Ernst, der die unbeschwerte Komik grundiert. Nichts ist tragisch, was nicht durch eine kleine Tempoverschiebung eigentlich zum Wiehern komisch wäre; nichts ist wahrhaft komisch, was nicht auch den Keim zu einer Tragödie enthielte. (…) Der Kontrapunkt ist Kompositionsprinzip.«

Schunkeln und Schenkelklopfen. Kertész’ zwanzig Jahre alten Satz habe ich, als er 2016 auf deutsch zu lesen war, natürlich nicht auf Shakespeare bezogen, sondern als allgemeingültigen, also auch als heutigen verstanden. Erfreut, daß hier mal einer ein saftiges Pauschalurteil, eine solide begründete Aussage gewagt hatte, die sich ohne größere Bedenken von ihrer existentiellen Höhe auf unsere gegenwärtige populäre Humorkultur herunterladen ließ.

Dabei könnte man ganz zufrieden sein: Die Deutschen sind in den letzten fünfzig Jahren trotz aller Klischees deutlich lockerer und witziger, weniger ernsthaft und weniger prinzipiell geworden, und demokratisch reifer ebenfalls, keine Frage. Und es wird fleißig gelacht, jedenfalls im Fernsehen und in großen Kabarett-Shows. Die neue Lockerheit scheint jedoch mehr und mehr in Richtung Flachwitzigkeit und Witzlosigkeit zu driften und immer weniger von der Energie des oben definierten Humors gespeist zu werden. Man kann das, etwas herablassend, Infantilisierung nennen.

Vor dreißig, vierzig Jahren war das anders, unter anderem dank der Neuen Frankfurter Schule (Robert Gernhardt, F. K. Waechter, F. W. Bernstein etc.), der Münchner Schule (Dieter Hildebrandt, Gerhard Polt) und der Norddeutschen Schule (Harry Rowohlt, Otto Waalkes, Max Goldt). Alle diese Schulen scheinen wenige Schüler hervorgebracht zu haben, sie wirken da und dort weiter – im schmalen Segment der Literatur, seltener im Film, auf der Theaterbühne und journalistisch in der Kolumnenkunst bei Axel Hacke, beim frühen Harald Martenstein, einigen »Titanic«– und SZ-Streiflicht-Autoren an ihren guten Tagen.

Bleiben wir beim Massenhumor, beim »Lach-Stoff« des Fernsehens. Seit dort die Quote als heiligster Maßstab gilt, gibt es zwar mehr Lach-Sendungen als je zuvor, diese tragen aber, näher betrachtet, nur ausnahmsweise zur Verbreitung des Humors bei. Seit der Eindruck stärker wird, Hohn und Häme würden immer öfter als Satire verkauft, lohnt sich ein genauerer Blick.

Die omnipräsenten Comedians mit der Devise »Humor ist, wenn hinten gelacht wird«, die politischen Softkabarettisten sowie die allzu lehrerhaften Politkabarettisten erreichten nur selten noch die mittleren Höhen der Bosheit und witzigen Klugheit. Sie operieren immer weniger doppeldeutig, mit zweiter Perspektive. Sie teilen mit gleicher Intensität in alle Richtungen aus und bleiben so als die einzigen Rechthaber übrig.

Das zeigt sich vor allem daran, wie sie mit »den Politikern« umgehen. Was viele politische Journalisten vormachen, sich mit Personalia zufriedenzugeben, eifern die Unterhaltungskünstler auf dümmlichste Weise nach. An ihren (häufigen) schlechten Tagen gefällt sich die halbe »heute-show« darin, Politiker nur deshalb fertig- oder lächerlich zu machen, weil man einen Halbsatz von ihnen aufspießen kann. Hohn, Geschimpfe, Rüpeleien, billiges Bashing werden als Witz inszeniert – und stets nach Parteienproporz ausgestreut (damit niemand im Fernsehrat aufjault), nicht aber nach dem Witzpotential oder gar der Fragilität der Argumente dieser Politiker. Wenn alle Parteien, zum Beispiel CSU und Grüne, um nicht von der Linken und der AfD zu sprechen, vor den Comedians gleich sind, dann ist etwas faul, dann ersparen sie sich das Denken oder uns die Meinung. Die Fernsehsatire wird zum Abklatsch des parteipolitisch ausgewogenen Fernsehrats: bloß nicht wehtun, oder allen nur ein bißchen. Doch eine gleichmacherische und dazu meinungspolitisch feige Satire ist keine Satire mehr.

Inzwischen unterscheiden sich viele Plattsatiren kaum noch von den Plattwitzen der traditionellen Karnevalisten auf der einen Seite – und den Verachtungs- und
Beschimpfungsgewohnheiten in den sogenannten sozialen Medien auf der anderen Seite. Die altbackenen Büttenredner sowie die asozialen Dauermeckerer und die neubackenen Showredner haben das gleiche Ziel: Schunkeln und Schenkelklopfen, Quote und Klicks, also Werbegeld.

Das Lachpublikum spielt da gerne mit und nimmt die unterschiedslose Demütigung der Gewählten freudig entgegen – für alle Fälle sitzen im Studio Claqueure des Senders und dressieren den Zuschauern den Beifall an: im Gleichtakt marsch! Wer wirklich Humor hat, würde sich wahrscheinlich dieser Dressur verweigern. Und nicht der eigenen Infantilisierung Beifall klatschen. Mit Kertész zu sprechen: Bei solchem Treiben geht der Ernst des Gedankens verloren, daß mit der pausenlosen und weitgehend argumentlosen Gießkannen-Häme auf die Repräsentanten der Demokratie auch die Demokratie selbst in Richtung Tonne getreten wird. Ein Symptom dafür ist unter anderem, daß das Tabu, den obersten überparteilichen Repräsentanten der staatlichen Ordnung kabarettistisch oder satirisch anzugreifen, erst vor wenigen Jahren geschleift wurde. Inzwischen werden auch Bundespräsidenten mit Flachwitzen abgewatscht (da mag ich altmodisch sein, das stört den Verfassungspatrioten in mir).

Wo das »rohe Auslachen« blüht, würde Odo Marquard sogar von Wirklichkeitsvertreibung sprechen. Für den Philosophen ist Lachen ein Denken und Denken »die Fortsetzung des Lachens« mit einem wichtigen Unterschied: »Das gilt nicht vom rohen Auslachen: denn dadurch – durch Wegspotten – vertreibt man Wirklichkeiten aus unserem Leben. Wohl aber gilt es vom humoristischen Lachen: denn dadurch bittet man – liebevoll, spöttisch – zusätzliche Wirklichkeit, die offiziell geleugnet wird, wenigstens inoffiziell in unser Leben hinein: denn man lacht sie nicht aus, sondern man lacht ihr zu und lacht sie sich an.«

Auch wenn es, gerade in der »heute-show«, immer wieder geglückt durchtriebene, fein recherchierte Beiträge mit solchem Wirklichkeitsgewinn gibt, wenn aufklärerischer Echtwitz und kleine Geniestreiche aufblitzen, das fernsehkompatible Kabarett kommt nur selten über das hämische Abfertigen einzelner Personen hinaus. Selbst wenn das satirisch gekonnt gemacht ist, hat das nicht viel mit Humor zu tun, der nur dann Humor ist, wenn ihr Urheber die eigene Position mit in Frage stellt. Und Satire, die vorwiegend mit dümmlichen Politikerabfertigungsschablonen hantiert, klärt nicht mehr auf, bietet keinen Wirklichkeitsgewinn, wird reaktionär und arbeitet den reaktionären Parteien zu.

Das mag auch daran liegen, daß, sehr pauschal gesprochen, die Fernsehmedien heute in vielem wirksamer, also mächtiger als die Politik sind. Wer vor den Kameras Meinungen, Wertungen, Schnellurteile ausbreitet und Images festklopft, hat mehr Macht als Bundestagsabgeordnete, oft sogar mehr als Minister. Moderatoren und Kabarettisten auf ihrer Bildschirmkanzel sind einflußreicher geworden als viele ihrer Häme-Opfer. Sie agieren als die Stärkeren von oben herab. Wenn sie sich also über Schwächere lustig machen, dann ist das so degoutant wie unhumoristisch. Humor kommt nur von unten.

Der Eindruck der Infantilisierung ist auch deshalb naheliegend, weil die meisten
Berufswitzbolde und Spaßangeber an »Selbstgefallsucht« leiden, wie Jean Paul sagen würde. Jedes Witzeln liebäugelt mit der Kamera, jede Pointe wird mit narzißtischem Dünkel unterfüttert: Seht mal, wie witzig, wie humorvoll, wie kontra wir sind, wir Deutsche sowieso und ich Comedian, ich Kabarettistin, ich Showmensch ganz besonders. Egal, ob die Kommerzialisierung diesen Narzißmus fördert oder umgekehrt: So gerät das zentrale Gebot der Humorproduktion in Vergessenheit, das trocknes Understatement fordert, also das Wissen um Doppelbödigkeit. Man entdeckt das noch bei Olli Dittrich, Olaf Schubert, Frank Barwasser (Pelzig), Maren Kroymann, Gerburg Jahnke und ihren »Ladies«. Nur wer sich kleinmacht, kann größeren Widerspruchsgeist und Widerspruchswitz entfalten (siehe Loriot), also den Humor, den vom Ernst gespeisten.

Vorsicht vor Veteranen, persönliche Anmerkung: Humor ist auch eine Generationenfrage, und als Älterer muß man aufpassen, beim Artikulieren des Unbehagens an der zeitgenössischen Humorproduktion nicht in die Kulturverfall-Falle zu tappen, besserwisserisch nostalgisch zu werden und so zu tun, als wäre bei Hildebrandt und Loriot die Welt noch in Ordnung gewesen. Aber auch die naheliegende Replik jüngerer, heutiger Humorverkäufer wäre klischeelastig: der Alte hat noch nicht kapiert, was sich alles mit und seit Harald Schmidt verändert hat.

Kann ja sein, trotzdem argumentiere ich hier nicht als einstiger Satiriker. Ich fühle mich nicht kompetenter, nur weil ich die kniffligen Fragen des Witzes, Humors und der Kunst zweimal vor hohe Gerichte, in einem Fall sogar bis vor den Bundesgerichtshof gebracht und dort mit Hilfe trefflicher Anwälte für die Kunst der Satire Siege erstritten habe – auch für die geschätzten Leserinnen und Leser heute. Das ist mehr als vierzig Jahre her, und ich weiß selber, es wäre lächerlich, die vergleichsweise primitiven satirischen Formen von »Unsere Siemens-Welt« und »Moritat auf Helmut Hortens Angst und Ende« zum Maßstab zu nehmen oder sich darauf zu berufen. Ich orientiere mich vielmehr an der frühen »Titanic« und an den Klassikern, allen voran Jean Paul. Ohne den auch Harald Schmidt nicht Harald Schmidt geworden wäre.

Minenfeld Humor. Da will man in aller Ruhe über den Satz eines alten Ungarn und seine Aktualität nachdenken – und landet direkt auf einem Minenfeld. Unter allen Kritikern hat der Humorkritiker wahrscheinlich die undankbarste Aufgabe, auch deshalb gibt es so wenige. Wer den Humor anderer Leute oder gar den der Humormacher auseinandernimmt oder anzweifelt, wer witzigen oder witzigseinwollenden Menschen Humorlosigkeit vorzuwerfen wagt, setzt sich sofort der Gefahr aus, als humorloser Humorverderber in die Ecke gestellt zu werden (ich sehe schon den entsprechenden »Brief an den Leser Delius« in der »Titanic« – könnte ihn allerdings auch gleich selber schreiben). Den Vorwurf, keinen Humor zu haben, möchte sich niemand gern einfangen, schon gar nicht Witzemacher, die sich einbilden, die Lockerheit gepachtet zu haben.

Wenn überhaupt auf diesem Felde kritisiert und polemisiert wird, dann sprechen die meisten pro domo oder aus ihrer Zunft heraus, Kabarettisten argumentieren anders als Satiriker, Comedians der Bühne anders als Karikaturisten. Da kaum jemand die Begriffe Humor, Witz, Komödie, Comedy, Satire, Ironie, Scherz zu klären versucht, herrscht überdies ziemliche Sprachverwirrung – auf einem Gebiet, das mit präziser Sprache operiert. Kurz, man redet hier mit Vergnügen aneinander vorbei und begnügt sich mit der Formel: Entweder hat man Humor oder man regt sich darüber auf, weil man keinen hat. Schön wär’s, wenn die Sache so einfach wäre.

Wer klug ist, wird niemals laut von sich behaupten, Humor zu haben. Es widerstrebt dem Humoristen und noch mehr der Humoristin, sich des eigenen Humors zu rühmen.
Bereits Jean Paul, der ausgebuffte Theoretiker und Praktiker des schriftlichen Humors, hat hier die Richtschnur geliefert: »Jeder von uns darf ohne Eitelkeit sagen, er sei verständig, vernünftig, er habe Phantasie, Gefühl, Geschmack; aber keiner darf sagen, er habe Witz; so wie man sich Stärke, Gesundheit, Gelenkigkeit des Körpers zuerkennen kann, aber nicht Schönheit. Beides aus denselben Gründen: nämlich Witz und Schönheit sind an sich Vorzüge, schon ohne den Grad … zweitens sind Witz und Schönheit gesellige Kräfte und Triumphe (denn was gewänne ein witziger Einsiedler oder eine schöne Einsiedlerin?); und Siege des Gefallens kann man nicht als sein eigner Eilbote überbringen, ohne unterwegs geschlagen zu werden.«

Identität versus Humor. Was Jean Paul in seiner Zeit als »Selbstgefallsucht« wahrnahm, was Kertész vor mehr als zwanzig Jahren an der »kleinlichen« Postmoderne kritisierte, begegnet uns heute in der Fixierung auf Identität und im blühenden, im Selfie-Kult schon wieder kollabierenden Narzißmus. Wer sich selbst oder seine eingebildete Identität im Spiegel oder auf dem spiegelnden Bildschirm oder auf den Pixeln rund um die eigene Nase sucht, wie einst Narziß verliebt sein Eigenbild im Wasserspiegel betrachtend, vernachlässigt den zweiten, relativierenden, selbstironischen Blick und wird zur Distanz, also zum Humor immer weniger fähig sein.

Noch stärker wirkt die modische Identitätsideologie mit ihren humortötenden Folgen. Die besonders bei harten Rechten und soften Linken beliebte Festlegung auf eine formelhafte Identität ignoriert nicht nur, daß jeder Mensch ein Vielfaches an Identitäten hat (Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Herkunft, Bildung, Religion, Arbeit, Alter, Kraft, politische Orientierung, sexuelle Orientierung, Intelligenz, Gene, Erfahrung usw.), wovon einige erfreulicherweise variabel sind. Mit der Reduzierung auf »die« oder »eine« Identität wird auch dem Humor der Boden entzogen.

»Deine Identität liegt einfach dort, wo du beschließt, mit dem Denken aufzuhören«, hat Philip Roth im Roman »Gegenleben« eine Figur sagen lassen, die mit einer anderen über »jüdische Identität« stritt. Identitäres Denken und identitäre Zuschreibungen entspringen, das steht schon bei Adorno, dem Wunsch nach Widerspruchslosigkeit, negieren die Vielfalt des einzelnen und führen zu Ideologie und Rassismus – und damit auch zur Vertreibung des Humors, der zum Blühen mehr als eine Perspektive braucht.

Natürlich soll man auch über »deutsche Identität« streiten, aber der neumodische Stolz, sich »heimatlos« zu fühlen, wie der Feuilletonist Ulrich Greiner zum Beispiel, wurzelt fast zwanghaft in einer tiefen Humorlosigkeit. Mich überrascht es nicht, daß der Autor Till Raether in den rechten Szenen trotz systematischer Suche keinen Humor gefunden hat. Ein halbes Jahr lang hat er Zeitschriften und Plattformen des sozialen Netzes der Rechten durchforscht und am Ende nicht mal gelungene Witze entdeckt. Raether beruft sich schließlich auf Alison Dagnes, die für die USA die gleiche Diagnose stellt: »Um gute Witze hinzubekommen, muß man sich selbst fürs Publikum verletzbar und angreifbar machen. Dieser Gedanke widerspricht einer rechten Ideologie der Stärke. Humor funktioniert am besten, wenn er aus einer Position der Schwäche kommt, wenn der Witz gemacht wird, um sich gegen einen Stärkeren zu wehren.«

Übrigens wehrte sich auch Imre Kertész immer dagegen, auf eine »Identität«, und sei es die jüdische, festgelegt zu werden. »Nun ja, als Schriftsteller arbeite ich ja ständig an meiner Identität, und wenn ich sie einmal finde, verliere ich sie sofort wieder, weil ich sie einer meiner Romanfiguren überstülpe, und dann kann ich wieder ganz von vorn beginnen.«

Humor erwächst also gerade aus der Nicht-Identität. Je mehr Identitätsideologie, desto mehr Verhärtung des Denkens, desto mehr Witzlosigkeit, könnte man folgern. Und umgekehrt: Je mehr ein Mensch mit seiner Nichtidentität oder seinen Vielfachidentitäten klarkommt, desto größer die Humorkompetenz. Auch das wußte Kertész schon 1990: »Ich habe mehrere Ichs, die alle einem einzigen Ich, meinem repräsentativen Ich, dienen. Doch meine sämtlichen Ichs – und damit auch ich selbst – wissen über das repräsentative Ich nur das wenigste.«

Pointe hier, Pointe da. Am 31. März 2016 starb Imre Kertész in Budapest. Und noch am gleichen Abend, als die ersten Nachrufe erschienen, erreichte die zeitgenössische deutsche Humorkultur einen spektakulären Höhentiefpunkt. Oder was geschah da, als Jan Böhmermann im Fernsehen einen gereimten Text auf den türkischen Staatspräsidenten vorlas? Sicher ist nur: Mit so viel Ernst ist lange nicht über Satire und Humor gestritten worden.

Angefangen hatte es mit einer läppischen Reimwitzelei in einer Satire-Sendung des NDR, die Erdo an und seine Lakaien erzürnen, nach Verboten rufen und eine diplomatische Krise provozieren ließ. Darauf reagierte Böhmermann mit einem Text, den er von vornherein als ein zu verbietendes Schmähgedicht bezeichnete. Ging die NDR-Satire noch auf die reale Unterdrückungspolitik des türkischen Staatspräsidenten los, beschränkte sich Böhmermann darauf, dem Präsidenten ungewöhnliche Sexualpraktiken vorzuhalten, ihn mit Zoten und Rassismen zu karikieren und sich an imaginären Tabugrenzen zu reiben. Solche Beschimpfungen dürften auch in Deutschland nicht verbreitet werden, sagte der Verbreiter, augenzwinkernd die unendliche Verbreitungskapazität eines mächtigen Senders und des noch mächtigeren Internets in Gang setzend. Früher hätte man das schlicht hinterfotzig genannt. Heute wurde der Moderator vom Chef des Hauses Springer für sein »Kunstwerk« gepriesen, von der »Süddeutschen Zeitung« für seine »Dekonstruktion von Humor« gerühmt, während Bernhard Pörksen im »Tagesspiegel« den irritierenden Widerspruch zwischen der »Inhaltsebene« (Beleidigung) und der »Metaebene« bewunderte, die verbotene Satire satirisch darzubieten.

Genau da sahen andere rot. Jeder Nazi oder sonstige Menschenhasser, meinte Caroline Fetscher kurz darauf in der gleichen Zeitung, könne sich nun satirisch geben, das Verbotene genüßlich ausmalen und beispielsweise sagen: »Flüchtlinge verbrennen, das ist verboten, man darf also nicht sagen … usw.« Und: »Ich wollte doch nur auf lustige Weise die Gesetze erläutern.« Friederike Haupt hat als eine der wenigen das Grundsätzliche am Fall Böhmermann erfaßt. In ihrem Essay »Was passiert eigentlich, wenn Leute Politik nur noch als das verstehen, was Satire-Shows davon zeigen« in der FAS beschrieb sie anhand der Plattsatiren der »heute-show« jene Witzigkeit, die Menschen gefalle, »die Humor von Hohn nicht unterscheiden«. Böhmermanns Satire sage nichts aus über die Zustände in der Türkei oder Erdoğan, aber indem man ihn »als Sodomisten bezeichnet, sagt man ausschließlich etwas über sich selbst. Man will der sein, der sich traut, so was zu sagen. Man ist der Gute, der den Bösen beschimpft. Das ist Pubertät, nicht Humor und nicht Politik.« Gerhard Henschel verwies ebenfalls in der FAS, wie oben zitiert, auf den politisch gewollten Kulturbruch und eigentlichen Tabubruch in den frühen achtziger Jahren durch die Privatsender. Auch wenn das nicht allein darauf zurückzuführen ist, Henschel konnte den Niedergang der Satire in Relation zum Aufstieg des unflätigen Schimpfens, Fluchens, der Rapper-Rotzigkeit bestens belegen. Zum Beispiel an einem Schimpfmonolog von Gerhard Polt: »Es liegen Welten zwischen diesem Sprachkunstwerk und Jan Böhmermanns Zoten. Aber erkennt noch jemand den Unterschied, nachdem wir dreißig Jahre lang mit Zoten zugetextet wurden?« Kurz: viele Argumente, babylonische Verwirrung der Kriterien und Begriffe.

Satire gegen Satire. Zur Entwirrung könnte auch hier Jean Paul helfen. Wieviel Humor steckt in dieser »Schmähkrititik«? Kriterium 1: Eine allgemeine Torheit? Nein, die unterstellten Macken eines Einzeltrottels. Kriterium 2: Doppelter Boden der Vernunft? Nein, davon kann beim Beschimpfen nicht die Rede sein. Und 3: Sprachwitz? Nicht nur mit Polt verglichen: null. Und 4: Ein Ich, das sich und seine Weltsicht relativiert? Nichts dergleichen. Keines der vier Humorkriterien ist hier zu finden, dieser Text besteht aus astreinem Nichthumor. Vom»Kunstwerk« ganz zu schweigen.

Trotzdem erreichte der geschmacklose und humorlose Text einen höheren Witz, allein durch die Präsentation, die Moderation: Böhmermann und sein Gesprächspartner Kabelka erklärten Erdoğan erst einmal umständlich, daß so etwas wie die NDR-Satire in Deutschland erlaubt sei, gedeckt von Kunstfreiheit, Pressefreiheit, Meinungsfreiheit, es gebe hier nun mal Satire, Kunst und Spaß, die seien erlaubt. Es sei aber auch hier nicht alles erlaubt, etwa sogenannte Schmähkritik, die bestraft und gelöscht werden könnte. Das klinge vielleicht etwas kompliziert, also wollten sie ihm das an einem Beispiel erklären. So etwas dürfe man nicht machen, das werde auch in Deutschland verboten, wiederholte der Moderator, bevor er das anstößige Produkt vorlas.

Böhmermann, schrieb Jost Müller-Neuhof (»Wir sind der Witz«), tue »nichts anderes, als das komische Versagen der Kollegen vom NDR ironisch aufzugreifen, es mit Erdoğans überempfindlicher Reaktion zu kontrastieren, um dann ein Schmähgedicht vom Stapel zu lassen, das Erdoğan, »extra 3« und dem Fernsehpublikum symbolisch den Weg weist, auf dem bei uns die Meinungsfreiheit an ihr Ende gelangt.«

Die Satire richte sich also nicht gegen Erdoğan, sondern gegen die Kollegen Satiriker. Nichthumor gegen Flachhumor, ein letztes Gefecht der professionellen Spaßmacher?

Hahnenkämpfe. Was haben diese Debatten und Gefechte mit Imre Kertész zu tun? Außer, daß sie an seinem Todestag ausbrachen? Wohlwollend kann man Böhmermanns »Schmähkritik« auch als Versuch lesen, wieder mehr Ernst in unsere selbstgefällige Humorkultur zu bringen. Ein Satiriker tritt auf als Verteidiger der Satire, bedient sich dabei des Mittels des Nichthumors und erreicht damit größtmögliche Wirkung bis hin zum Prozeß – ein solches Paradox sollte gewürdigt werden. Natürlich muß man Böhmermann vor Gericht verteidigen, erst recht wegen der grotesken Sezierung seines Schmähtextes in sechs angeblich satirisch korrekte und achtzehn angeblich inkorrekte Zeilen. Aber der Vorgang, mit Nichtsatire die Satire und die Meinungsfreiheit verteidigen zu wollen, dürfte nur in einer ästhetischen Debatte und nicht juristisch zu beurteilen sein. Andererseits sind Böhmermanns Lust an der Abwertung und die gleichzeitige Abwehr jeder Form von Ernsthaftigkeit hübsche Belege für die Richtigkeit von Kertész’ Diktum. Denn der begabte Unterhalter hält es auch für witzig zu sagen, er sei gar kein Satiriker, er mache nur eine Quatschsendung. Mit dem gespielten Understatement verkleinert er sich selber, was ja ein Kriterium für Humor sein könnte, aber wo alles Quatsch und lachhaft wird im Sinne des »Anything goes«, kann man sich schlecht als Opfer von Mißverständnissen hinstellen und zum Hampelmann der eignen Einfälle machen. Wenn er wirklich, wie Müller-Neuhof meint, satirisch nicht auf Erdo an, sondern als Vertreter der Quatsch-Fraktion auf die Schwachwitzmacher von der Häme-Fraktion und Kabarettisten von der Zeigefinger-Fraktion zielt, die, deutlich unbegabter als er, sich auf den zahlreichen öffentlich-rechtlichen Quotenleitern drängeln, dann erschöpft sich am Ende alles in Hahnenkämpfen und branchenüblichen Verdrängungswettbewerben.

Wo bleibb da humoooa? Als Rechtfertigung für Schwachhumor und Nichthumor wird gerne das Zauberwort Dekonstruktion in die Debatte geworfen. So schreibt etwa Hilmar Klute: Harald »Schmidt verabschiedete seine Zuschauer irgendwann aus der guten alten Bildungswelt ins digitale Anything goes. Dort werden sie von Böhmermann abgeholt«. Dem komme es nun wahrlich nicht mehr auf »moralische Wahrhaftigkeit« an, es gehe eigentlich nur noch um die »Dekonstruktion von Humor«.

Nicht allen Feuilletonisten scheint die Banalität bekannt zu sein, daß die Künste seit je vom Wechselspiel zwischen Destruktion und Konstruktion leben. Die einseitige Fixierung auf Zerstörung, Auflösung, Strukturbrechung mag in den Geisteswissenschaften eine Zeitlang produktiv gewesen sein, bevor sie eine Mode wurde, die neue Oberflächlichkeiten und Mißverständnisse produziert hat. Die Böhmermannsche Witz-Leistung mit diesem Siebziger-Jahre-Etikett adeln zu wollen, kommt mir in einer Zeit, da bereits alles dekonstruiert ist, reichlich vorgestrig vor. Zumal es keinen Grund gibt, auch nicht für Witzproduzenten, den Anspruch auf »moralische Wahrhaftigkeit« aufzugeben (sie müßte nur pfiffiger und pfeffriger proklamiert werden). Und keinen Grund, den »dekonstruierten«, also implodierten Humor in aller postmodernen Anmaßung in den Himmel zu heben und den herkömmlichen, konstruktiv dekonstruierenden Humor auf den Schrottplatz zu schieben.

Imre Kertész ließ sich schon in den neunziger Jahren den Imponierbegriff Postmoderne nicht gefallen. »Die Zusammensetzung ›postmodern‹ stellt eine falsche Kategorie auf: ›nach-modern‹ – so etwas gibt es nicht, denn die Moderne ist ein kontinuierliches Stilmerkmal, hängt vom Stil, nicht von der Zeit ab.« (Die Literatur eines Jean Paul oder Lawrence Sterne zum Beispiel ist moderner als die jedes »postmodernen« Autors.)

Man kann Kertész vorhalten, die Postmoderne allzu einseitig für den Niedergang des Humors verantwortlich zu machen. Dabei hat er bereits im Jahr 1995 mit heiterster Radikalität gesehen, was heute vor aller Augen sichtbar wird, was vielen humorsüchtigen Leuten am kommerziellen Humor den Spaß verdirbt und im Fall Böhmermann sich zuspitzte: die produktive Frage nach dem Verbleib des Humors. Wie gut, daß die alte Scherzfrage: »Wo bleibb da humoooa?« wenigstens bei Ernst Jandl eine Frage geblieben ist.

2001, zwei Wochen vor dem 11. September, notierte Kertész in seinem Tagebuch
»Letzte Einkehr«: »Eine neue Ära bricht an, der Sentimentalismus des Überlebens und der sexuelle und philosophische Liberalismus der Nachkriegszeit gehen zu Ende: Es folgt wieder eine männlichere Epoche, brutaler Konformismus, vielleicht Krieg. Jedenfalls faschistoid (oder wie sollte man es nennen). Einem liberalen Ästheten zufolge (Süddeutsche Zeitung), der sich für einen bedeutenden Publizisten hält, ist das Ende jeder Ernsthaftigkeit gekommen und wird diese Ernsthaftigkeit heute nur noch von wichtigtuerischen osteuropäischen Künstlern in schlechtsitzenden Anzügen vertreten, die mit ihrem Unglück nichts anfangen können. Zumindest nichts anderes, als die Welt mit der eigenen Verdrossenheit zu drangsalieren. Demnach ist die westliche Welt schon jenseits von Gut und Böse und will sich nur noch amüsieren? Aber worüber? Und zu welchem Ende? Schließlich ist nichts langweiliger als gute Unterhaltung.«

Heute ist klar: Es gibt nichts mehr zu dekonstruieren, wenn fast alle menschlichen Regungen mehr denn je auf banale Formeln, auf Bits und Bytes, Null und Eins reduzierbar und abrufbar sind und viel digitaler Fleiß auf die Entkernung der Subjekte und ihre Neuprogrammierung gerichtet wird. Aber wo ästhetisches Denken und Handeln von der Narzißmus-Kultur weichgespült werden, Witz und Humor in Richtung Beschimpfung und Zote (so Gerhard Henschel) und Infantilisierung (so Friedrike Haupt) driften, geht die Widerspruchsarbeit für autonome Intellektuelle und eigensinnige Humoristen noch lange nicht aus.

Was die demokratischen Gesellschaften bräuchten, wären idealerweise eine Renaissance der Aufklärung und der Vernunft, Grundwerteoffensiven und neu definierte, nicht de-, sondern rekonstruierte moralische Wahrhaftigkeit. Ein Nebeneffekt davon wäre die Renaissance des Humors im Sinne von Marleen Stoessel als »immer geistesgegenwärtig inszeniertes Schelmentum, gelungene, gewalt- und herrschaftsfreie, wenn man so will ›brüderliche‹ Aufklärung«. (Es lebe der Konjunktiv – denn auch der Möglichkeitssinn ist mit dem Humorsinn herzlich verschwistert.)

Wie man hört, soll in den USA seit Trump der gute alte böse Humor aufblühen. Offenbar hat er, aus naheliegenden Gründen, die wir uns nicht wünschen, etwas Entscheidendes wiedergewonnen: seinen Ernst.

Beste Aussichten für alle. Unter den vielen Vorteilen des Alters ist vielleicht der nützlichste: das Wachsen des Humors und des »Lach-Stoffs«. Oder in Jean Pauls Worten: »Endlich steigert sich an den Jahren Humor, Ironie und jede komische Kraft, und mitten in der kalt nebelnden Trübe des Alters spielt wie ein Nachsommer die komische Heiterkeit sich heiter ein.« Ein allzu gemütlicher Satz aus der »Vorschule«, den der Humorist Imre Kertész wahrscheinlich nicht unterschrieben hätte. (Ich aber.)

aus: Sinn und Form, Heft 3/2018, S. 373 ff

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