Friedrich Christian Delius, FCD

Tilman Krause: Tanzabend

Tilman Krause

Tanzabend vor der Revolte

Ausgezeichnet, dieses kritische Bewusstsein! Der Büchnerpreis geht in diesem Jahr an Friedrich Christian Delius. In seinen besten Erzählwerken hat der “Sechsundsechziger” zu einer undeutschen Leichtigkeit gefunden.

Das war mal fällig. Indem die Darmstädter Akademie für Sprache und Dichtung den angesehensten Literaturpreis dieses Landes Friedrich Christian Delius zuerkennt, prämiert sie nicht nur, ihrem Auftrag gemäß, ein umfangreiches, vielgestaltiges Lebenswerk. Sie kürt auch einen Autor, der wie kaum ein anderer seiner Generation die Analyse deutscher Befindlichkeiten zu seinem Thema gemacht hat. Nie plakativ, gern satirisch auf dem Boden der gut dokumentierten Tatsachen, handwerklich solide, sprachlich gewandt und gedanklich von abwägender Gelassenheit, spiegelt Delius seit nunmehr 45 Jahren die Entwicklung der Bundesrepublik literarisch.

Seine Haltung, so darf man wohl mit einer etwas altertümlichen Formulierung sagen, seine Haltung also ist die jenes kritischen Bewusstseins, das sich in den frühen sechziger Jahren bei den tonangebenden Intellektuellen hierzulande herausgebildet hat. Es ist eine aufklärerische Haltung, die der Autor immer eingenommen hat, ohne doch dabei in agitatorischen Aplomb zu verfallen. Engagement im Sinne Sartres zeichnet seine Autorschaft aus, aber es fehlen dabei jene ideologischen Verengungen, die Engagement gerade bei Sartre so oft nach sich zog. In einem guten Sinne erzieherisch wirkte Delius’ Schreiben gleichfalls oft und wehrte doch jeglichem Hang zur Proselytenmacherei. Man könnte auch sagen, bei Delius handelt es sich um das kritische Bewusstsein der Vor-68er, denn der 1943 in Rom geborene Pfarrerssohn gehört sympathischerweise auch zu jenen, die behaupten, dass die 68er nichts erfunden haben, sondern allenfalls ausdifferenzierten oder radikalisierten, was an kritischem Potential bereits vor dem vielbeschworenen annus mirabilis in der Luft lag.

“Ich bin kein 68er, ich bin ein 66er”, sagt FC Delius oft. Er meint damit, dass für ihn der “Rausch der Offenheit” in den mittleren sechziger Jahren prägend war, “die Erweiterung des Horizonts, bis in die fernsten Ecken der Dritten Welt, politisch, musikalisch, literarisch”. 1968 bezeichnet eigentlich schon das Ende dieser Entwicklung, ihre doktrinäre Zuspitzung, und die habe ihn immer abgestoßen, hat Delius mehrfach versichert. Es gibt ein Buch, das die Aufbruchstimmung dieser Jahre, ihren friedlichen Protest, ihr jugendbewegtes Aufbegehren gegen angemaßte Autoritäten beschwingt zum Ausdruck bringt. Es trägt den anmutigen Titel “Amerikahaus oder der Tanz um die Frauen” – und spielt, wann sonst, wo sonst, im Jahre 1966 in Berlin. Delius legt da den Akzent auf das Spielerische, auch das mitunter Naive der “Bewegung”. Kurz, es ist ein Buch, das man eher in Frankreich als in Deutschland erwarten würde.

Als es 1997 erschien, leitete es eine neue Phase in der literarischen Entwicklung seines Autors ein, die mutatis mutandis bis heute anhält. Eine Phase, die man wohl am ehesten auf den Begriff bringt, indem man ihre Leichtigkeit hervorhebt. Denn, jawohl, auch Delius war er ja nicht fremd, der heilige deutsche Ernst, zumal er vom Temperament auch eher zu den Bedächtigen als zu den Übersprudelnden gehört. Er hat die protestantisch-autoritäre Welt seines Elternhauses, wie so viele Vertreter seiner Zunft, auf die deutsche Gesellschaft der fünfziger Jahre insgesamt projiziert und damit auch seinen Beitrag geleistet zum Mythos von den restaurativen fünfziger Jahren, obwohl sich ja gerade in diesem Jahrzehnt, wie wir heute wissen, die Umwandlung Deutschlands in eine westliche Gesellschaft vollzog.

Von dieser Transformation merkt man Delius’ bekannter coming-of-age-Novelle “Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde” (1994) nicht das Geringste an. Und trotzdem liegt hier eine eindrucksvolle Studie der Nöte des Erwachsenwerdens vor. Die Geschichte eines Jungen, der am Radio die deutschen Fußballerfolge von 1954 verfolgt, steht nicht zuletzt in der Tradition der deutschen Sehnsucht nach der Selbstentgrenzung, nach dem Über-Sich-Hinauswachsen, was sicherlich zum besonders emotionalen Verhältnis der Delius-Leser gerade zu diesem Titel beigetragen hat. Und doch verbindet sich das Gefühlvolle hier auch gekonnt mit dem kritischen Habitus der Gruppe 47.

Das überrascht nicht. Denn in eben dieser Vereinigung, die literatur- und geschmackspolitisch so sehr die deutsche Nachkriegsgeschichte bestimmte, liegen Delius’ Anfänge. Auf den letzten Tagungen, beginnend 1964 im schwedischen Sigtuna, hat Delius gelesen. Er zählte damals mit Piwitt und Hans Christoph Buch zu jenen Jungen, die im Zeichen der Dokumentarliteratur neue Akzente setzen wollten. Freilich macht sich, im Unterschied zu den Vorgenannten, bereits beim frühen Delius ein spielerischer, parodistischer Zug bemerkbar.

Satiren auf die Unternehmerwelt waren es, die ihn kurze Zeit später bekannt machten. Einem breiteren Publikum empfahl er sich dabei vor allem mit seiner Trilogie über den “Deutschen Herbst”, mit den Romanen “Ein Held der inneren Sicherheit”, “Mogadischu Fensterplatz” und “Himmelfahrt eines Staatsfeindes”, die in den achtziger Jahren entstand. Und man übertreibt wohl nicht, wenn man das faktengesättigte “Mogadischu Fensterplatz”, das die Lähmungsgefühle jener Jahre geschickt mit der Dramatik der Flugzeugentführung von 1977 verwebt, als ein Kultbuch der achtziger Jahre bezeichnet – vor allem im alten West-Berlin.

Berlin gibt ohnedies den Hintergrund vieler seiner Bücher ab. Und mit Berlin ist Delius vielfältig verbunden. Hier studierte er und wurde bei Walter Höllerer promoviert. Hier verdiente er sein erstes Geld – als Lektor, zunächst bei Wagenbach und dann im Rotbuchverlag. Hier wurde er schon bald eine gern und oft herangezogene Figur der literarischen Szene, hier hat er auf zahllosen Podien und Panels gesessen – im Literarischen Colloquium zuerst, später auch im Literaturhaus, in der Akademie der Künste sowie auf den diversen Literaturfestivals. Als ebenso differenzierter wie eloquenter Diskutant wuchs er in den letzten Jahren immer stärker in die Rolle eines Berliner elder statesman in Sachen Literatur heran.

Das darf allerdings nicht zu dem Missverständnis verleiten, seine Texte brächten nun zunehmend Altherrenprosa. Weit gefehlt. Sein historischer Anti-Roman “Der Königsmacher”, der 2001 so witzig wie spitzzüngig die Faszination für alten Glanz und Gloria in der neuen Berliner Republik aufs Korn nahm, zeugt ebenso von nicht nachlassender Qualität wie sein einfühlsames familienbiographisch grundiertes “Bildnis der Mutter als junge Frau” von 2006. “Souveräne Erzählkunst”, welche die Darmstädter Akademie dem Gesamtwerk dieses Autors nachsagt, waltet auch hier. Friedrich Christian Delius erhält den Büchner-Preis zu einem Zeitpunkt, da er sich auf der Höhe seines Könnens befindet.

(Die Welt-online 19.05.2011)

Impressum