Friedrich Christian Delius, FCD

Uwe Timm

Civis Romanus Timm

Unter den Künstlern, die es nach Rom zog, in die auf den ersten Blick schöne, warme, freundliche, auf den zweiten Blick hässliche, kühle, feindliche, auf den dritten Blick mit farbigsten Widersprüchen zwischen Mythos, Trivialität und Unendlichkeit gesegnete und geschlagene Metropole, sind am meisten die zu bewundern, die sich hier aus eigenem Antrieb und auf eigene Faust durchzuschlagen hofften, also nicht wie Goethe auf ein Ministergehalt oder wie die Stipendiaten der Villa Massimo auf vorübergehend gesicherte Einkünfte rechnen konnten oder sich als Gäste einer deutschen oder italienischen Institution für kurze Zeit bevorzugt wussten, und zu diesen wenigen Leuten, die das Risiko Rom nicht scheuten, gehörte in den achtziger Jahren 20. Jahrhundert Uwe Timm, der mitsamt seiner Familie, der schwangeren Frau und zwei Kindern, aus der bayerischen Bequemlichkeit in die römische Rauheit umzog, kämpfend und feilschend mit raffgierigen, geilen Wohnungsvermietern, die keine Quittungen ausstellen, verzweifelt vor der Unmöglichkeit, Euroschecks in Bargeld zu wechseln, tapfer sich verteidigend gegen drei Diebinnen auf einmal, neidisch auf den Luxus in der Villa Massimo, verängstigt von den deutschen Doggen eines Nachbarn, geplagt von schlechten Matratzen und scheußlichen Möbeln, verwundert über die vielen aktiven Faschisten, immer wieder Schlange stehend für die Aufenthaltserlaubnis in der Quästur, staunend vor Apoll und Daphne in der Galleria Borghese ebenso wie vor den Marktbräuchen und den immer wieder neuen Gesten des Alltags, philosophierend über Gramsci und Caravaggio, und das ist noch lange nicht alles, was man in „Vogel, friß die Feige nicht“ (1989) trefflich pointiert lesen kann, unvergesslich zum Beispiel die Szene, wie der scrittore tedesco in einer großen Bank an der Via Veneto versucht, ein Konto zu eröffnen, wie er mit diesem schlichten Wunsch Verdacht und Neugier und allgemeine Konfusion auslöst, von einem Angestellten zum nächsten weitergereicht wird und schließlich beim obersten Chef der Bank landet, der ihm aber auch nicht richtig helfen kann, und allein wegen dieser Geschichte und den Leistungen seines Mutes im Land des Einerseits-Andererseits-Ausweichens ziehe ich, zufällig geborener Römer, vor dem Hamburgmünchner den Strohhut und möchte ihm den Ehrentitel Römer verleihen, weil nur nicht nur gute Bücher als Heldentaten zählen, sondern zuweilen auch Umzüge, wenn sie mit so viel Tollkühnheit, Tapferkeit, Ausdauer und Neugier durchgestanden wurden wie der des Römers Timm.

(Der schöne Überfluß. Texte zu Leben und Werk von Uwe Timm. Herausgegeben von Helge Malchow, Kiepenheuer & Witsch, Köln 2005)

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