Friedrich Christian Delius, FCD

Rich times for historical fiction

Oldenburgisches Staatstheater: Rich times for historical fiction

Herr Delius, Der Königsmacher beruht auf einer Geschichte, die sich in Ihrer Familie zugetragen hat. Wie ist Ihnen diese “zugeflogen”?

D: Eine Kette von Zufällen, ganz kurz: In den sechziger Jahren bekam mein Großvater die Anfrage aus dem Fürstlichen Archiv von Neuwied, ob er mit einer Wilhelmine von Dietz verwandt sei. Er antwortet: Ja, meine Urgroßmutter. Das Archiv: Eine uneheliche Tochter des Königs Willem I. der Niederlande. Er hatte von ihr nur dunkle Kenntnis, nun löste sich ein Familienrätsel. Wie die ganze Geschichte raus kam, ist ein Krimi für sich – im Roman beschrieben, schon deshalb würde ich dem geneigten Publikum die Lektüre empfehlen. Meine Tante hat dann fleißig recherchiert, wollte darüber schreiben, wagte es nicht, weil sie im Königlichen Archiv in Den Haag unterschrieben hatte, nichts ohne deren Genehmigung zu publizieren. Und als ich ein kleines Stipendium für Amsterdam hatte, sagte Wilhelmine, deren Bild schon länger in meinem Zimmer hing: Schreib meine Geschichte!

Albert Rusch ist Schriftsteller wie Sie. Wie viel Christian Delius schlummert denn in dieser Figur?

D: Wenig. Er ist erheblich jünger und erheblich erfolgloser als ich, also stärker auf den Markt, den Erfolg, die Medien fixiert. Ich habe ihm meinen Stammbaum geliehen, natürlich auch ein paar freundliche oder bissige Gedanken über den Kulturbetrieb. Aber der entscheidende Unterschied ist: ich fände es ziemlich lächerlich, mich als Spross der Preußenkönige und des Hauses Oranien zu profilieren. Albert Rusch wird vom Adelsstolz gepackt und verbindet den geschickt mit Personal Marketing. Ich kann auf die Frage also nicht mit Prozentzahlen antworten. Wie viel Delius steckt im Bauern aus Ribbeck, im Kellner aus Rostock (“Spaziergang von Rostock nach Syrakus”), im Musiker, der in Tel Aviv als Adolf Hitler unterschreibt (“Flatterzunge”), oder in der jungen Biologin im entführten Flugzeug (“Mogadischu Fensterplatz”)? Ich weiß es nicht.

Ihr Buch einer jener historischen Romane, von denen es im Buch heißt: “There are rich times for historical fiction”?

D: Der Buchmarkt ist ja u.a. auch ein Modemarkt. Der Trend zum historischen Roman erklärt sich auch mit dem wachsenden Bedürfnis, der unerfreulichen oder scheußlichen Gegenwart zu entkommen. Und in keiner Mediensparte lässt sich Erfolg so leicht erwirtschaften wie bei historischen Romanen. Ich habe jenen Satz übrigens aus der New York Times, gelesen im Frühjahr 2000, als ich an einem College in Pennsylvania mit dem Anfang des “Königsmacher” beschäftigt war. Gerade deshalb mein kühner Versuch, dies Konzept des behäbigen historischen Romans zu unterlaufen, ihn zu reduzieren, auf Dialoge vor allem – und damit trotzdem einem alten Stoff, einer herzergreifenden Mädchengeschichte, einer verdrängten Tragödie gerecht zu werden, ohne Kitsch, Kostüme, Kulissen, Goldbuchstaben.

Im Königsmacher beschreiben Sie, wie Albert Rusch zu einer schillernden Figur des Medienbetriebs wird. Nach dem Erscheinen Ihres Romans wurden Sie immer wieder zu politischen Ereignissen interviewt. Wurden Sie da selbst zu einem “Medienprinzen”? War das Teil Ihrer eigenen Inszenierung?

D: Nein. Ich wurde nach dem “Königsmacher” eher weniger um Interviews gebeten als sonst – und fast nur zum 11. September und den Folgen. “Medienprinz” war ich vielleicht in den siebziger Jahren, als Siemens und Horten Prozesse gegen mich führten und verloren.

Es fällt auf, dass viele ihrer Romanfiguren mit Persönlichkeitsprobleme zu kämpfen haben. (Z.B. Albert: erst an sich selbst zweifelnd, dann über den Größenwahn ins Glück gleitend) Ist Größenwahn ein Weg zur Läuterung?

D: Keine Ahnung, Größenwahn ist nicht mein Fachgebiet. Albert Rusch ringt mit sich, weil er sich verbiegen muss im Kampf um den erhofften Erfolg – wie jeder Angestellte und Unternehmer auch, von deren Leistung die Existenz abhängt. Persönlichkeitsprobleme klingt mir zu negativ. Ich zeige Figuren, die, gebeutelt von den Verhältnissen oder eigenen Fehlern, ihre Wege oder Auswege suchen. Sei es das Kind in “Der Sonntag, an dem ich Weltmeister wurde”, der Orchestermusiker in “Flatterzunge”, usw. Mich interessieren die Reibungen, die wir Subjekte erleben, wenn wir von politischen oder historischen Ereignissen gepackt, umgeworfen oder zerrieben werden.

Herr Delius, Albert Rusch hat in jenem Schloss, in dem er sitzt, sein Glück gefunden. Wo wäre ein solcher Ort für Sie?

D: Bei aller Liebe zu Oldenburg und seinem Theater – das werde ich Ihnen nicht verraten, denn über das Glück, das man hat (auch ohne Schloss), sollte man nicht zu laut sprechen.

(Das Gespräch führte Dirk Hanke anlässlich der Uraufführung von “Der Königsmacher” im Oktober 2003)

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