Friedrich Christian Delius, FCD

Der Krampf mit der Erbsünde

Der Krampf mit der Erbsünde

Die Erbsünde gehört zum Kernbestand des Christentums, obwohl immer weniger Christen sie verstehen. Deshalb gehört sie abgeschafft, argumentiert der Schriftsteller und Büchnerpreisträger Friedrich Christian Delius in seinem neuen Buch. Der Jesuit Georg Maria Roers widerspricht: Die Welt ist unperfekt, die Theologie muss dem Rechnung tragen. Das Gespräch führte Andreas Öhler für Christ & Welt 4/2018.

Christ&Welt: Herr Delius, was stört Sie an der Erbsünde?

Friedrich Christian Delius: Sie ist ein ziemlich morscher Grundpfeiler des Christentums. Ich habe mir in meiner Streitschrift »Warum Luther die Reformation versemmelt hat« erlaubt, ein Detail seiner Theologie, die Erbsünde betreffend, näher zu betrachten.

C&W: Fassen wir Ihre Thesen kurz zusammen. Sie halten dem abtrünnigen Augustinermönch Luther vor, sich nicht von seinem Lehrmeister Augustinus distanziert zu haben. Augustinus hat die Erbsünde zum Urgrund unserer Schuld ausgerufen und als katholisches Dogma festgeschrieben. Seitdem sind wir beladen mit Schuldkomplexen, die uns das Leben zur Hölle machen.

Georg Maria Roers SJ: Der Begriff »Erbsünde« wird in der Theologie, lieber Herr Delius, aber anders bewertet. Karl Rahner hat von einem Schuldzusammenhang gesprochen. Damit will er unterstreichen, dass wir Menschen keine perfekten Wesen sind. Das ist doch eine Entlastungskonstruktion und keine Bürde! Wir waren als Ebenbild Gottes geschaffen und haben uns nach dem Sündenfall angemaßt, wie Gott sein zu wollen.

Delius: Das »Wir« ist schön! Im Gegensatz zu Ihnen war ich bei der Erschaffung des Menschen und beim Sündenfall nicht dabei, und ich finde es hirnrissig lustig, schon deshalb ein Sünder zu sein, weil meine Vorfahren bis hin zu Adam oder welchen Affen auch immer Geschlechtsverkehr hatten. So steht es bei Augustin, und Luther hat das nicht infrage gestellt, auch da war er durch und durch Augustiner. Dass wir keine perfekten Wesen und ziemlich schwache Menschlein sind, wissen wir auch ohne den Erbsündenhammer.

Roers: Die Streitschrift ist zu einseitig. Sie lassen an der Theologie des Augustinus kein gutes Haar.

Delius: Es ist ja schön, Herr Roers, dass Sie den Augustinus so verteidigen. Aber das führt doch nicht von der Tatsache weg, dass die Erbsünde und alles, was daran hängt, von ihm erfunden worden ist. Das Christentum ist 300 Jahre ohne diese Theorie ausgekommen, es steht nichts von der Erbsünde in den Evangelien. Erst Paulus hat das Sündenregister verschärft. Paulus war gewissermaßen der Lenin des Christentums. Und Augustinus käme dann die Rolle des Stalin zu, eine zugegebenermaßen verwegene Analogie.

Roers: Wie bitte? Sie setzen Augustinus mit Stalin gleich?

Delius: Ich habe nichts gleichgesetzt. Diese Assoziation soll ja nur einen Radikalisierungsprozess veranschaulichen, der sich von der ursprünglichen Lehre entfernt, diese Lehre pervertiert hat, von der frohen zur drohenden Botschaft. Er war nun mal ein gnadenloser Verfolger aller Christen, die nicht auf seiner Parteilinie lagen.

C&W: Augustinus war mit seiner These auch nicht unumstritten. Er suchte Bündnispartner. Er bestach, wenn man Herrn Delius glauben darf, den Kaiser damals mit 80 numidischen Rassehengsten, um die These zu etablieren.

Delius: Vor allen theologischen Fragen hat es mich ergötzt, welchen Kuhhandel Augustinus mit Pferden betrieben hat, um seine Theorie von der Erbsünde durchzusetzen.

Roers: Ach, und Sie glauben, dass der Papst seine Lehre nach den Meistbietenden ausrichtet? Da kennen Sie die katholische Kirche aber schlecht. Bestechungsvorwürfe entstammen immer dem Repertoire der Polemik. 80 Hengste, das ist ein Geschenk, wie man heute einen großen Kuchen auf eine Geburtstagsparty mitbringt. Das römische Heer hatte Hunderttausende von Pferden. Ihr Argument, dass sich ein Bischof von Rang beim kaiserlichen Hof einschleimen muss, halte ich für dürftig.

Delius: Ich greife nur in die Kirchengeschichte, und die ist meist grauenvoller, als die
Theologen sie wünschen. Der Kaiser musste seine Heerführer zufriedenstellen, es waren schwere Zeiten, die Goten unterwegs. Und der Kaiser, so steht es in der Literatur, konnte den Papst dirigieren. Damals, frühes 5. Jahrhundert.

Roers: Mag sein, aber die Debatte um die Erbsünde ist zunächst eine rein theologische und spielte sich im Rahmen eines diskursiven Miteinanders ab. Da geht es immer ums Ganze, auch im Detail. Damals hat sich die Theologie eben mit solch fundamentalen Dingen befasst. Heute geschieht das leider zu wenig.

Delius: Wir sollten bei Augustin bleiben. Er hat einen theologischen Diskurs für sich entschieden, mit einem Geburtstagskuchen, von mir aus. Und mit der Hilfe des Kaisers, die sein Gegner Pelagius nicht hatte.

Roers: Ich bitte Sie! Wie laufen denn solche Entscheidungsfindungen ab? Die Kirche, die Christenheit hat sich ja erst allmählich geformt. Auf der Synode von Karthago von 418 wurde über Ursünde und Gnade debattiert. In der Wissenschaft verlaufen solche Diskurse dynamisch. Und die Theologie ist eine Wissenschaft!

Delius: Auch in der Wissenschaft entscheidet die Politik oft anders als die Wissenschaftler. Bei der Erbsünde jedoch geht es neben den theologischen vor allem um die gesellschaftlichen Folgen. Das verkorkste Verhältnis der Christen zur Sexualität, eine unendliche Geschichte der Schuldgefühle und Seelenqualen, bis heute.

Roers: Ich finde es jedenfalls vollkommen müßig, über die Erbsünde zu streiten. Warum? Weil wir heute als Theologen anders darüber sprechen. Wir Katholiken reden da heute von struktureller Sünde.

Delius: Sie werden doch nicht bestreiten, dass das, was Sie nicht mehr bereden wollen, für das Seelenleben gravierende Folgen hatte! Ein unbefangenes Sexualleben ohne sündiges Gewissen hat sich erst im 20. Jahrhundert entwickeln können, 1600 Jahre lang dagegen die verordnete Verkrampfung und Verklemmung. Falsche Angst und falsche Schuldgefühle als Grundlage des Glaubens, da wird man schon mal nachfragen dürfen.

Roers: Ich lebe als lebensfroher Katholik und denke nicht jeden Tag über die Sünde nach. Wir feiern die Feste, wie sie fallen. Asche auf mein Haupt, das gilt in der Fastenzeit, und die beginnt für mich mit dem Aschermittwoch der Künstler.

Delius: Was den Lebensfrohsinn angeht, da müssen wir beide, hoffe ich, nicht wetteifern.

C&W: Ist eine Erlösung ohne vorheriges Leiden überhaupt denkbar?

Delius: Leiden gehört zum Leben. Ich verstehe die romantische Idee von »Erlösung«. Aber wer liebt und geliebt wird, braucht sie nicht. Dass schon mit der Geburt die Verdammnis über uns verhängt sein soll, da macht mein Verstand einfach nicht mit. Die christlichorthodoxen Kirchen sind diesen Weg ja auch nicht mitgegangen und Augustinus gefolgt. Und sie haben als Kirche auch überlebt.

Roers: An diesem Punkt sind wir gar nicht so weit auseinander.

Delius: Was das finstere Menschen- und Gottesbild des Augustinus angeht, offensichtlich doch. Erst stellt Gott, wenn wir mal beim Mythos der Schöpfung bleiben, dieses wunderbar komplizierte Gebilde Mensch in die Welt – und sogleich wird es in Richtung Hölle geworfen.

Roers: Wo Sie doch gar nicht an Gott glauben, warum ist das alles so wichtig für Sie?

Delius: Im Sinne des großen Gelehrten Kurt Flasch, der nach einem langen Leben als frommer Katholik aus der Kirche ausgetreten ist und sich heute als »Kulturkatholik« bezeichnet, bin ich vielleicht ein »Kulturprotestant«. Ich bin nun mal protestantisch geprägt, als Pfarrerssohn mit vielen Bibelzitaten und Lutherliedern aufgewachsen. Bevor ich mein erstes autobiografisches Buch schrieb, stieß ich auf Elaine Pagels’ »Adam, Eva und die Schlange. Die Theologie der Sünde«, wo die Erbsünden-Erfindung des Augustinus behandelt wird. Die Story blieb in meinem Kopf, erst recht, wenn von Augustinus und von Sünde die Rede war. Dann zwölf Jahre in Rom, da begegnet einem ja laufend dieser San Agostino.

Roers: Das werden Sie dem heiligen Augustin ja wohl nicht auch noch anlasten?

Delius: Die Geschichte mit den Pferden aus Pagels’ Buch, die konnte ich als Schriftsteller einfach nicht verdrängen: Prächtige Hengste, auf dem Schiff von Afrika nach Ravenna! Wenn die Doktrin von Augustinus heute nicht mehr geteilt wird, wie Sie behaupten, könnten wir ja froh sein. Trotzdem musste einmal aufgeschrieben werden, wann und wie dieses Konstrukt seinen Anfang nahm. Und das Büchlein wirkt bereits – etliche Theologen ackern schon weiter auf diesem Feld.

Roers: In Ihrem Roman »Die linke Hand des Papstes« haben Sie die These ja auch schon vorgestellt. Das Buch fand ich, anders als Ihre Streitschrift, ganz wunderbar. Wie am Schluss des Buches der deutsche Papst in der evangelischen Kirche in Rom stolpert, sich quasi vor Luther zu Boden wirft.

Delius: Die Pointe daran: Drei Tage nachdem ich das Manuskript aus Rom an den Verlag in Berlin gemailt hatte, trat dieser Papst zurück. Was sagt uns das, Herr Roers?

Roers: Da wird sehr humorvoll für die Einheit der Kirche geworben. Aber es kam anders. Nun wohnt Papst emeritus in den Vatikanischen Gärten und betet Rosenkranz, während Franziskus der neue Reformator ist.

 

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