Friedrich Christian Delius, FCD

Zeit Wetter

»Wetter ist immer ungerecht«


Herr Delius, wir möchten mit Ihnen übers Wetter sprechen. Oder ist das für einen Schriftsteller ein zu banales Thema?

Gar nicht. Wetter geht immer, gerade wenn man sich sonst nichts zu sagen hat. Das hat schon Tolstoj geschrieben, übrigens sehr witzig. Als Verfasser einer Doktorarbeit über das Wetter in der Literatur gelte ich ja komischerweise als Experte.

Dann können Sie uns sicher auch sagen, wie man so ein Gespräch üblicherweise beginnt. »Schönes Wetter heute«?

Das ist gefährlich. Bei den Deutschen kommt es besser an, wenn man erst mal meckert, auch über das Wetter. Ich lebe acht, neun Monate im Jahr in meiner Geburtsstadt Rom nicht des Wetters wegen, sondern weil meine Frau dort arbeitet. Wenn ich mit Deutschland telefoniere, kommt die Rede immer aufs Wetter, ganz egal, wie kurz das Gespräch dauert. Ich bin dann froh, wenn es gerade mal regnet und ich sagen kann, Rom steht unter Wasser. Ich hoffe, dass das die Menschen im Norden tröstet.

Sie kratzen dann an unserem Bild von Italien. Der lichte, heitere Süden mit dem blauen Meer und den blühenden Zitronen ist seit Jahrhunderten ein Lieblingsklischee deutscher Dichter. Finden es die Italiener merkwürdig, wenn Fremde in den höchsten Tönen besingen, was für sie selbstverständlich ist?

O sole mio – das ist made in Italy. Diese Sehnsucht nach Licht und Sonne verstehen die Italiener gut. Sie haben die ja selbst. Im Frühjahr, an den ersten warmen Tagen, sind sie vollkommen überdreht. Da muss man sich in Rom vor den Autofahrern ganz besonders in Acht nehmen.

Ihr jüngstes Buch Bildnis der Mutter als junge Frau spielt in Rom, verliert aber fast kein Wort über das Wetter.

Ich schreibe doch über die »von milder Januarsonne« ausgeleuchtete Stadt.

Das ist eine von zwei Stellen, die wir gefunden haben.

Ich meinte, es wären drei. Wenn Sie bedenken, dass das Buch nur eine einzige Stunde beschreibt, den Weg der Mutter vom Diakonissenheim in die evangelische Kirche, ist das für meine Verhältnisse gar nicht wenig. Es ist nicht leicht, Licht zu beschreiben, exakt, dezent, ohne in Phrasen zu fallen. Eingehende Wetterschilderungen sind nicht meine Sache. Die gehören ins 19. Jahrhundert. Es sei denn, das Wetter ist handlungsentscheidend, ich denke da etwa an Orhan Pamuks Schnee großartig!

In Ihrer Doktorarbeit Der Held und sein Wetter ging es darum, wie Schriftsteller das Wetter missbrauchen. Wie muss man sich diesen Missbrauch vorstellen?

Vergewaltigt wird es nicht, es wird benutzt, als Kunstmittel. Die Idee kam mir, als der Germanist Eberhard Lämmert in einer Vorlesung nebenbei sagte, das gute Wetter sei der beste Stimmungsmacher für schlechte Autoren. Ich habe dann die Tricks untersucht, mit denen Schriftsteller das Wetter so einsetzen, wie sie es brauchen. Das primitivste Muster ist dies: Positive Figuren bekommen Sonnenschein, negative Regen. Wenn sich Konflikte anbahnen, gibt es Sturm oder Gewitter. Bei Wilhelm Raabe zum Beispiel gibt es eine antisemitische Sonne, den Wind als Kuppler und so weiter.

Die Arbeit entsteht in der Zeit um 1968. Viele Studenten träumen von Revolution – die Kritische Theorie ist allgegenwärtig. Und der politische Schriftsteller F. C. Delius promoviert über das Wetter. Warum?

Bei den Strenggläubigen war das ein verpöntes Thema. In vielen Wohngemeinschaften hing das Plakat mit Marx, Engels und Lenin und dem von der Bundesbahn geklauten Slogan: »Alle reden vom Wetter. Wir nicht.« Das sollte heißen, wir vergeuden unsere Zeit nicht mit Floskeln, wir haben Wichtigeres zu tun.

Wollten Sie Ihre Kommilitonen provozieren?

Zum Provozieren war ich zu schüchtern. Es war als eine ironische Replik gedacht. Ich hatte damals schon Gedichte und Satiren veröffentlicht und fand, dass man sich als Schriftsteller für die Banalitäten des Alltags sehr wohl interessieren sollte.

Wissen Sie, wie das Wetter morgen wird?

Regnerisch. Das steht in der Zeitung.

Sie lesen die Wettervorhersagen?

Zu oft. Und im Fernsehen, keine Nachrichten ohne Wetterbericht. Dabei fällt auf, dass das Wetter immer stärker vermenschlicht wird. Nicht nur mit den Vornamen für Hochs und Tiefs. Angefangen hat das in den Siebzigern mit dem Wettermann im ZDF, der sich mit seinem Zeigestock an die Tafel gestellt und gesagt hat: So und so wirds. Die Leute in München können sich freuen, Hamburg und Berlin müssen sich noch etwas gedulden.

Der trat damals noch auf wie ein Lehrer, der einem merkwürdige Begriffe beibrachte wie »überfrierende Nässe« .

Heute haben wir Wetterdeuter, Wetterpropheten, Wettergötter, die zu richtigen Autoritäten geworden sind und das Wetter als eigene Show präsentieren. Das ist offenbar ein gutes Geschäft. Nur, was bringt es uns? Wir wollen wissen, wie das Wetter morgen wird, weil das unser Verhalten beeinflusst. Wenn es regnet, brauchen wir Mantel und Schirm. Ganz einfach.

Offenbar nicht. In den Wettershows von Jörg Kachelmann und seinen Kollegen werden regelmäßig Vergleiche mit den Vorjahrestemperaturen angestellt, das Jahrhundertwetter wird bemüht, als gelte es herauszufinden, ob unser Wetter noch normal ist.

Der Wettermann präsentiert sich als Allwissender, als Zeremonienmeister unserer Gefühle. Er vermittelt uns den Eindruck, es liege in seiner Hand, ob wir diese Woche noch eine Grillparty veranstalten können oder nicht. Er strampelt sich ab, auch uns zu Experten zu machen. Und je mehr wir auf ihn hören, desto weniger verstehen wir, desto unfreier werden wir.

Was wäre die Alternative, der Bauernkalender? Wenn der Hahn kräht auf dem Mist, ändert sich das Wetter oder bleibt, wie es ist.

Es schadet doch nicht, wenn man zum Beispiel Wolken lesen kann.

Können Sie das denn?

Kaum noch. Bei der Doktorarbeit hatte ich natürlich auch ein Lehrbuch der Meteorologie studiert. Wenn Sie ganz hohe Wolken sehen, diese zerrissenen, dünnen, dann heißt das, dass da oben hohe starke Winde gehen, das deutet auf schlechtes Wetter hin. Kumuluswolken wiederum, die schön gerundeten, deuten auf gutes Wetter hin, wenn sie nicht allzu groß sind.

Was ist denn überhaupt gutes Wetter? Dieser Sommer scheint es ja niemandem recht machen zu können, ob er nun warm ist oder kühl.

Gutes Wetter war schon immer eine subjektive, eine Definitionssache. Wenn den Städtern das Wetter gefiel, haben die Bauern geklagt, es sei zu trocken. Wenn das Wetter für die Landwirtschaft gut war, war es den Städtern unangenehm. Es ist nicht die Aufgabe des Wetters, es uns recht zu machen. Im Gegenteil, Wetter ist immer ungerecht. Aber wozu klagen, wir haben in Mitteleuropa mit das beste Klima der Welt.

Beim welchem Wetter fühlen Sie sich am wohlsten?

Vielleicht im Halbschatten eines Sonnentages unter einem Baum in freier Landschaft. Vor allem liebe ich die Abwechslung, den Wechsel der Jahreszeiten. Ich verstehe nicht, warum die Karibik so ein Sehnsuchtsort ist. Drei Wochen eitel Sonnenschein, gut. Aber das ganze Jahr? Für mich wäre das ein Albtraum.

Dann haben Sie sicher auch kein Mitleid mit Urlaubern, die für viel Geld in sonnige Länder fahren und enttäuscht sind, wenn es regnet.

Es ist einfach dumm zu denken, dass man im Süden immer das Wetter bekommt, das im Prospekt angekündigt wurde. Das ist deutsches Anspruchsdenken. So viel geistige Beweglichkeit kann man auch von Pauschaltouristen verlangen, dass sie begreifen, dass auch ein verregneter Urlaub Urlaub ist. Das Gute am Wetter ist doch, es ist nicht berechenbar. Wir haben ja Gott sei Dank keinen Wetterdiktator, der bestimmen kann, wann wo die Sonne scheint.

Versucht wurde es schon. In der Sowjetunion haben sie vor großen Feierlichkeiten Raketen abgeschossen, um die Regenwolken aufzulösen.

Die Chinesen wollen es zur Olympiade auch versuchen. Ich habe gelesen, dass sie Silberjodid in die Luft jagen wollen, um den Smog zu vertreiben, damit die Sportler nicht ersticken. Aber das wird nicht klappen, nicht im Hauruck-Verfahren. Das Wetter lässt sich von uns nichts sagen.

Anscheinend ja doch. Die Klimaforscher haben herausgefunden, dass die Temperatur in den nächsten 20 Jahren um mindestens ein Grad steigen wird und dass unsere Abgasemissionen dafür mitverantwortlich sind.

Klar, aber dieses eine Grad spüre ich ja nicht. Wenn es regnet, brauche ich weiterhin einen Schirm, wenn die Sonne scheint, muss ich mich eincremen. Wärmeschwankungen und Klimakatastrophen gab es schon immer. Trotzdem glaube ich den Wissenschaftlern, die sagen, das Wetter präsentiere uns nun die Strafe für unseren Lebenswandel. Da wir seit Jahrzehnten über unsere Verhältnisse leben, dürfen wir uns nicht wundern, dass uns irgendwann die Rechnung präsentiert wird.

Aber man meint doch, man könne den Klimawandel spüren. Ganz gleich, ob es nun ungewöhnlich warm ist oder besonders heftig regnet. Man denkt: Das ist ein Omen.

Der Mensch ist es gewohnt, das Wetter als etwas zu betrachten, das von oben kommt, als Schicksal, als Gott. Seit ein paar Jahren wissen wir, dass unser Verhalten das Wetter beeinflusst. Bis vor Kurzem waren wir Objekte des Wetters, jetzt sind wir auch Subjekte, sind Wettermacher. Das ist etwas völlig Neues, eine kopernikanische Wende der Wetterbetrachtung. Wir können nicht mehr verdrängen, dass wir mitdrehen am großen Rad der Erwärmung. So wird die Wetterbetrachtung zu einer moralischen Frage, siehe Al Gore.

Darf man da überhaupt noch »Schönes Wetter heute« sagen, oder müsste es heißen: »Trügerisches Symptom der globalen Erwärmung«?

Manchen wird solche Hysterie gefallen. Und es stimmt schon: Blauer Himmel ist neuerdings verdächtig. Blauer Himmel stand in der Literatur immer für Harmonie, aber solche Metaphorik gerät mehr denn je ins Wanken. Seit Menschengedenken stellt man sich die Apokalypse als gewaltiges Unwetter vor. Aber heute, mit den Waldbränden und Dürren, könnte es ebenso gut anders sein. Eine italienische Freundin sagt: »Die Sonne ist mein Feind.« Wenn man das weiterspönne Weltuntergang bei schönem Wetter, das wäre mal was anderes. Das müsste mal jemand versuchen zu schreiben.

Die Fragen stellten Michael Allmaier und Stefanie Flamm
(Die Zeit, 16.8.2007)

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